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Politik: Europa – stolz wie ein Spanier

NACH DEM EU-GIPFEL

Von Christoph von Marschall

Alles wird gut. Der Erfolg hübscht sogar die EU ein bisschen auf. Über Monate hatten sich die Menschen beim Wort Europa nur noch frustriert abgewandt. Die EU war zerstritten über den Irakkrieg, die Verfassung gescheitert, nennenswerten Einfluss auf das Weltgeschehen hatte sie nicht. Nach dem EUGipfel herrscht jetzt plötzlich Zuversicht. Die Verfassung soll im Juni nun doch verabschiedet werden, Europa will Amerika endlich das UN-Mandat für den Irak abtrotzen und bis 2010 zum dynamischsten Wachstumsraum der Erde werden. Tony Blair lobt das „starke Gefühl der Einheit“. Wetten, dass das bis Mai so weitergeht, wenn zehn Neue der EU beitreten? Europa sonnt sich im Gefühl historischen Stolzes und neuer Stärke.

Wie sehr sich die Stimmung gedreht hat, zeigen die Antworten auf die Frage, was denn die Wende ausgelöst habe. Die gemeinsame Erfahrung der Bedrohung schließe Europa zusammen, sagt Kanzler Schröder. Direkt nach den Anschlägen von Madrid hatte sich Europa nur ausgeliefert gefühlt: Übermächtige Terroristen schienen Wahlen zu entscheiden und die Börse zu dirigieren. Aber der Terror hat nur so viel Macht über uns, wie wir ihm einräumen. Wer aus Angst und in der Hoffnung zurückweicht, verschont zu werden, dem ergeht es wie Biedermann in Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“. Der Schulterschluss der EU-Regierungschefs gegen Al Qaida und die Ernennung eines Anti-Terror-Beauftragten waren die richtige Antwort. Seine Bedeutung sollte man freilich nicht überschätzen; solange die nationalen Geheimdienste ihr Wissen nicht teilen, kann der Anti-Terror-Mann nicht mehr leisten als die EU-Gremien zur inneren Sicherheit.

Überhaupt klingt das zu schön, um wahr zu sein: Das gemeinsame europäische Interesse triumphiert über nationalen Egoismus. Entscheidend waren der Machtwechsel in Spanien und die Regierungskrise in Polen. Viele Europäer sehen das Scheitern José Maria Aznars und Leszek Millers mit Schadenfreude – als gerechte Strafe für die Blockade der Verfassung und die willfährige Unterstützung der USA im Irak. Tatsächlich sind es Quittungen für innenpolitische Skandale. Nicht der Irak, nicht der Egoismus in der EU, auch nicht die Bomben in Pendlerzügen haben Aznars Partei die Macht gekostet, das zeigten die Umfragen. Sondern erst die Lüge über die Attentäter.

Ähnlich in Polen. „Nizza oder der Tod“ war Premier Millers Kampfparole. Und, hübsche Pointe, er muss tatsächlich in dem Moment abtreten, in dem sein Land das EU-Abstimmungsverfahren nach dem Nizza-Vertrag aufgibt und die „doppelte Mehrheit“ des Verfassungsentwurfs akzeptiert. Aber er stürzt über Korruptionsaffären und die Weigerung, die Reformer in seiner sozialdemokratischen Partei zum Zug kommen zu lassen. Aznar und Miller scheitern an fehlender Einsicht und Selbstbescheidung.

Das sollte Europa eine Lehre sein. Die großspurigen Formeln vom dynamischsten Wirtschaftsraum oder der Softpower-Weltmacht sind auf absehbare Zeit realitätsfern. Die EU wird genug damit zu tun haben, sich nach der Erweiterung mit 25 Mitgliedern zu konsolidieren, den Balkan verlässlich zu befrieden und die Grundlagen für ein kleines, stabiles Wachstum zu schaffen. Sonst ist das stolze, schöne Europa bald wieder passé.

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