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Wem's hier nicht passt, der soll gehen? Wohl ein Fehlschluss. Integration ist mehr, als Kopftücher zu verbieten.

© Marijan Murat/dpa

Europa und das Kopftuch: Ein "Muslima-Bann" am Arbeitsplatz kann nicht funktionieren

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Neutralität im Job respektiert unternehmerische Freiheit, aber nicht die Antidiskriminierungspolitik der EU. Ein Kommentar.

Der türkische Staatspräsident Erdogan schäumt weiter. Diesmal war es unter anderem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das ihn in Rage versetzte. Der EuGH hält es für möglich, Musliminnen am Arbeitsplatz ihr Kopftuch zu verbieten oder ihnen deswegen zu kündigen. Diskriminierung? Schlimmer. „Die haben einen Kampf zwischen dem Kreuz und dem Halbmond angefangen“, erkannte der reizbare Autokrat in spe. Eine weitere Befassung mit dem Richterspruch wäre auch zu viel verlangt.

Was Arbeitgeber dürfen, kann dem Staat untersagt sein

Wäre Erdogan mit seinen Kritikern nur halb so tolerant wie Europa mit seinen Muslimen, er würde Verständnis aufbringen für die Sicht der europäischen Justiz. Schließlich hat der EuGH über eine private, eine unternehmerische Freiheit entschieden. Ein Arbeitgeber muss sich prinzipiell aussuchen dürfen, wen er mit welcher Kleiderordnung in seinem Betrieb beschäftigen will. Diese Frage ist eine andere als die, ob der Staat auch so vorgehen darf, etwa wenn er Lehrerinnen für den Schuldienst einstellen will. Das Bundesverfassungsgericht hat darauf eine klare Antwort: Nein. Verbote wären nur im Ausnahmefall zulässig, wenn das Kopftuch vor Ort sprichwörtlich zu einem Kampf der Kulturen führt.

Alte sind alt, Schwule sind schwul und Gläubige - gläubig

Trotzdem verdient das EuGH-Urteil Kritik. Die EU hat mit ihren Antidiskriminierungsrichtlinien auch den privaten Sektor darauf verpflichtet, niemanden wegen seiner Religion oder Weltanschauung, wegen einer Behinderung, seines Alters oder seiner sexuellen Ausrichtung zu benachteiligen. Diese deutliche Ansage umschiffen die Richter, indem sie es für zulässig erachten, wenn ein Betrieb ein politisch-religiöses Neutralitätsgebot zum firmeneigenen Konzept erklärt.

Die eigene Weltsicht im Job nicht allzu sehr nach außen zu tragen wird man noch verlangen können. Doch mit der Religion ist es wie mit dem Alter oder dem Geschlecht. Sie gehört zum Menschen; sie kann sichtbar sein, in der Kleidung wie im Gebet. Es ist viel verlangt, dies einfach abzustellen. Alte sind alt, Schwule sind schwul und Gläubige gläubig. Man muss Menschen nehmen, wie sie sind, und darf ihnen das nicht zum Vorwurf machen. Dies ist die Einsicht, die hinter den Diskriminierungsverboten steht. Alles in allem ein feiner Ausdruck abendländischer Zivilisiertheit.

Der "Muslim Ban" von Donald Trump zeigt, wie es nicht geht

Deshalb ist es auch verfehlt, das Urteil als Kreuzzug gegen Muslime zu deuten. Geben sich Unternehmen ihre Neutralitätsvorschriften nur, um Muslimas mit Kopftuch abzuservieren, verstoßen sie gegen europäisches Recht. Auch das haben die EuGH-Richter klargestellt. Es ist ähnlich wie mit dem Einreiseverbot, das Donald Trump für Angehörige von Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung ausgesprochen hat. Richtet es sich gegen Staaten, ist es erlaubt. Richtet es sich gegen Muslime, ist es verboten.

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