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Kanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel.

© Reuters

Europa und die Flüchtlinge: Die Grenzen der Solidarität

Die Europäer kommen in der entscheidenden Frage, wie die Flüchtlinge künftig zu verteilen sind, nicht voran - ein Trauerspiel. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Die Griechenland-Krise ist bis jetzt nach einem einfachen Schema abgelaufen: Ein Mitgliedsland der Europäischen Union ist – zu einem nicht geringen Teil selbst verschuldet – in Not geraten, und die Euro-Partner versuchen zu helfen. Im Hellas-Drama entstand so das leicht nachvollziehbare Leitmotiv „Geld gegen Auflagen“, das von der gesamten Gemeinschaft mehr oder minder beherzigt wird. In der Flüchtlingskrise fehlt bislang ein derartiger Masterplan der Europäer.

François Hollande steht in harter Konkurrenz zu Marine Le Pen

Dass die Europäer bei einer gemeinschaftlichen Lösung der Flüchtlingskrise nur sehr langsam vorankommen, hat gerade wieder der EU-Gipfel gezeigt. Anders als in der Causa Griechenland lässt sich das Problem diesmal nicht allein mit Geld lösen. Es geht um höchst unterschiedliche nationale Befindlichkeiten, den Widerwillen in einigen osteuropäischen Ländern gegen eine EU-Quotenlösung zur Verteilung der Schutzsuchenden, fehlende Erfahrung bei der Integration von Migranten – und die Furcht vor den Wählern. Es war kein Zufall, dass Frankreichs Präsident François Hollande in Brüssel davon sprach, dass Deutschland als größtes Aufnahmeland jetzt die Solidarität der Europäer beim Schutz der EU-Außengrenzen erwarten könne. Der Ruf nach Abschottung klingt in den Ohren der Wähler allemal besser als die Ankündigung, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als bisher. Hollande weiß, dass er mit einer großzügigen Aufnahme von Flüchtlingen auch der Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, Wahlkampfmunition liefern würde. 2017 stehen in Frankreich Präsidentschaftswahlen an.

Das Konzept der "Hotspots" bleibt schwammig

Während die EU bei der eigentlichen Herausforderung in der Flüchtlingspolitik – der gerechten Verteilung der Migranten in den EU-Staaten – jenseits der bisherigen mageren Quoten-Beschlüsse nicht vorankommt, gibt es immerhin einen Fortschritt bei der Sicherung von Europas Außengrenzen. Die Türkei ist zur Kooperation bereit, wenn es darum geht, die Flüchtlinge im eigenen Land besser zu versorgen und die Grenze zu Griechenland schärfer zu überwachen. Im Gegenzug bieten die Europäer Milliardenhilfen und eine Beschleunigung der angestrebten Visaliberalisierung. Auch bei den EU-Beitrittsverhandlungen soll mehr Tempo gemacht werden.
Entlastung für alle Länder, die überproportional viele Schutzsuchende aufnehmen, sollen auch die „Hotspots“ in Griechenland und Italien bringen, mit deren Hilfe asylberechtigte Flüchtlinge schneller von Migranten getrennt werden können, die keinen Anspruch auf eine Aufnahme in der EU haben. Allerdings ist unklar, wie die Flüchtlinge an den „Hotspots“ untergebracht werden sollen und sichergestellt werden kann, dass sie nicht auf eigene Faust nach Deutschland weiterziehen. Ebenso offen bleibt, was aus dem Dublin-System wird, nach dem EU-Länder, in denen die Flüchtlinge ankommen, eigentlich zur Abwicklung der Asylverfahren verpflichtet sind. Erst im kommenden Frühjahr will die EU-Kommission einen Vorschlag zur Reform von „Dublin“ vorlegen.
Kanzlerin Angela Merkel hat mit Blick auf das Gipfel-Ergebnis angemerkt, man befinde sich „in der Mitte eines Arbeitsprogramms“. Man könnte auch sagen, dass Europas Mühlen in der Flüchtlingskrise langsam mahlen. Wahrscheinlich zu langsam, wenn man sich vor Augen hält, dass wohl auch über den Winter weiter Flüchtlinge den Weg nach Europa suchen werden.

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