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Europa und die Flüchtlinge: Keine Initiativen, kein Mut, gar nichts

In manchen EU-Ländern eskaliert wegen der Flüchtlinge die Gewalt, doch Initiativen zur Lösung der Krise gibt es praktisch keine. Nun sollen die Staatschefs die Situation retten.

Von Antje Sirleschtov

Mit dem anschwellenden Zustrom von Flüchtlingen nach Europa wachsen die Spannungen zwischen den Ländern der Europäischen Union. An den südlichen Grenzen der Gemeinschaft kommt es zu immer größerer Gewalt, der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU), spricht bereits davon, innerhalb der EU wieder Grenzkontrollen einzurichten, sein Parteifreund Norbert Röttgen, Chef des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, sieht eine „Solidaritäts- und Verantwortungskrise in Europa“.

Wie ist die Lage der Flüchtlinge in den Mitgliedsländern der EU?
Man kann es kurz auf den Punkt bringen: Während Italien und Griechenland überfordert sind mit dem Zustrom der Menschen aus dem Süden und diese weiter nach Norden schicken, Mazedonien mittlerweile mit roher Polizeigewalt gegen Menschen vorgeht, die aus Griechenland kommen und in Richtung Norden fliehen, gibt es eine ganze Reihe von Ländern der EU, in denen die Aufnahme von Flüchtlingen beinahe keine Rolle spielt. Polen gehört dazu, Großbritannien, beinahe alle Länder Osteuropas. Deutschland und Schweden nehmen zur Zeit rund die Hälfte aller Flüchtlinge auf, weshalb hier der Problemdruck auch besonders hoch ist. Ein großer Teil der Flüchtlinge kommt aus Westbalkan-Staaten. Was ein sicherer Herkunftsstaat ist, darüber besteht in der EU und auch in Deutschland keine Einigkeit. Und nicht zu vergessen: Noch immer kommen Menschen in großer Zahl über das Mittelmeer und riskieren dabei ihr Leben.

Welche Initiativen hat es in letzter Zeit in Europa zur Lösung der Krise gegeben?
Praktisch keine. Jedenfalls keine wirklich erfolgreichen. Nach dem jüngsten menschlichen Drama im Mittelmeer hatten sich die Regierungschefs der EU im April auf mehr Geld zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer geeinigt. Ein gemeinsamer Standpunkt, wie mit den Flüchtlingen grundsätzlich zu verfahren ist, kam dabei aber nicht heraus.

Die Briten kündigten an, sie würden den Flüchtlingen kein Asyl gewähren. Den Italienern wurde vorgeworfen, sie würden die vereinbarten Regeln zur Registrierung der Flüchtlinge nicht einhalten und diese einfach weiter in andere EU-Länder schicken. Beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ende Juni wurde erneut intensiv über Verteilungsquoten für 60 000 Flüchtlinge debattiert. Während die Kommission auf einer verbindlichen Quote bestand, wollten das zahlreiche Länder, unter ihnen Polen, keinesfalls. Seither wird im Kreis der Innenminister an freiwilligen Aufnahmelösungen gefeilt. Ohne wirklichen Erfolg bisher.

„Der Migrationsgipfel vom Juni ist gescheitert, zahlreiche Länder entziehen sich ihrer Verantwortung“, urteilt der Außenpolitiker Röttgen. Und der CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok fordert von der EU, sofort eine gemeinsame Lösung für die Flüchtlingskrise zu finden. Europa sei mit einer echten „Völkerwanderung“ konfrontiert, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament im ZDF. Statt schneller Entscheidungen gebe es immer noch zu viel Bürokratie und Kompetenzgerangel – nicht nur zwischen den EU-Staaten. Elmar Brok forderte, in Hauptaufnahmeländern wie Italien und Griechenland sofort für „menschenwürdige Bedingungen“ zu sorgen. Es müsse dort auch noch „sehr viel stärker mit mehr europäischem Geld und europäischer Manpower“ geholfen werden.

"Gewaltige Herausforderung" - und keine Ideen?

Welche europäischen Initiativen sind in Zukunft zu erwarten?
Zunächst wird Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am kommenden Montag in Berlin Frankreichs Staatspräsidenten Francois Hollande treffen. Wie es heißt, soll dabei die Flüchtlingskrise ein Thema sein. Merkel hatte bereits im Frühsommer von einer „gewaltigen Herausforderung für Europa“ gesprochen, nun sucht sie offenbar mit Hollande einen gemeinsamen Weg zu mehr Einigkeit. Die Innenminister beider Länder hatten bereits am Donnerstag zahlreiche Themen debattiert, unter anderem personelle Hilfen für Italien und Griechenland. Ob es zu einem weiteren EU-Sondergipfel kommen wird, wie von vielen Seiten gefordert wird, ist allerdings unklar.

Am Donnerstag nimmt Merkel dann an der Westbalkan-Konferenz in Wien teil. Sie trifft dort die Regierungschefs aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien. Insbesondere in Deutschland gibt es einen großen Problem-Lösungsdruck, weil die Asylbewerber aus diesen Ländern keine Bleibeperspektive haben, dennoch in großer Zahl kommen.

Debattiert werden stark verkürzte Verfahren für Bewerber aus diesen Ländern, zentrale Unterbringung, zügige Abschiebung und vor allem die Ausweitung des Status eines sicheren Herkunftslandes auf diese Länder. Deutschland und Frankreich wollen die EU-Mitglieder zu einer gemeinsamen Einstufung von „sicheren Herkunftsstaaten“ drängen. Das Vorhaben ist Teil einer gemeinsamen Initiative beider Länder, die Merkel und Hollande am Montag auf den Weg bringen wollen. In Deutschland ist eine solche Einstufung hoch umstritten. Vor allem Menschenrechtsorganisationen halten den Schritt für fragwürdig.

Offen ist neben dem Umgang und der Verteilung von Flüchtlingen, die bereits in Europa sind, eine gemeinsame Antwort der Europäer auf die Frage, wie die EU mit der Lage der Menschen in den Herkunftsländern umgehen soll. „Die EU muss eine europäische Flüchtlingspolitik entwickeln“, mahnt der CDU-Außenpolitiker Röttgen. Dazu gehöre eine europäische Afrikastrategie genauso wie eine gemeinsame humanitäre Lösung der Probleme im Mittelmeer.

Auch die Frage, welche Antworten die europäischen Länder finden, wenn es um die Lebensbedingungen der Menschen in den Staaten des Westbalkan geht, spielt dabei eine Rolle. Dazu gehören auch finanzielle Hilfen für die Länder am Rand der EU, die teilweise in die Gemeinschaft drängen, aber aktuell kaum echte Beitrittsperspektiven haben. Ob die seit Langem zerstrittenen Mitgliedsländer sich solchen grundlegenden Themen widmen können, wird von Experten bezweifelt. Aktuell stünden zu viele unterschiedliche nationale Interessen einer gemeinsamen Lösung der Krise entgegen.

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