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Der türkische Premierminister Ahmet Davutoglu und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel beim EU-Türkei-Gipfel am 7. März 2016.

© Imago

Europäische Union: Die Türkei steht am Tor zu Europa

Die CDU sperrte die Türkei lange aus Europa aus. Jetzt ist die Lage plötzlich anders. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Hier gehen die Meinungen noch ein wenig auseinander in der CDU: beim Tempo der Annäherung. So plädiert der Vizechef der Europäischen Volkspartei, David McAllister, der Türkei bei der Visa-Erleichterung nicht zu schnell entgegenzukommen. Sondern, wenn es „tatsächliche Fortschritte“ bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Presse- und Meinungsfreiheit gibt. Kanzleramtsminister Peter Altmaier, der deutsche Flüchtlingskoordinator, früher EU-Beamter, ist da anders unterwegs. Er wirbt für die Türkei: Sie habe sich in der Flüchtlingsfrage europäischer verhalten als so manches Land in Europa und sei „trotz allem“ demokratischer und rechtsstaatlicher als die meisten Länder in ihrer Region.

Staatenbund, Bundesstaat oder etwas ganz anderes?

Womit doch klar wäre: Die Vorstellung von einer „privilegierten Partnerschaft“ statt eines EU-Beitritts der Türkei ist ad acta gelegt. Und zwar von genau jenen, die mit dem „C“ für Christlich im Namen zuvor lange gegen die völlige Integration des muslimisch geprägten Staats zwischen Orient und Okzident Wahlkampf gemacht haben. Heute spricht Altmaier, der Hofmeier Angela Merkels, stattdessen von Zusammenarbeit und vom „großen gemeinsamen geostrategischen Interesse“. Gleichviel, wegen alldem steht die Türkei am Tor zu Europa, und dass ihr auf Dauer der Einlass verwehrt werden kann, ist angesichts der für die EU welt- und binnenpolitisch schwierigen Lage unwahrscheinlich. Dazu wird die Regierung in Ankara viel zu sehr benötigt zur Lösung des größten politischen Projekts seit der deutschen Wiedervereinigung, möglicherweise noch vor ihr. Benötigt geostrategisch über Europa hinaus – und zur Rettung der Europäischen Union. Beschleunigte Verhandlungen über einen Beitritt wirken darum „alternativlos“, um Merkels geflügeltes Wort aufzugreifen. Nun stellen wir uns vor, die Türkei, knapp 80 Millionen Einwohner, ökonomisch ein „Tigerstaat“, wäre EU-Mitglied. Dann würde die Union anders, als sie ist, grundlegend. Angesichts der bereits herrschenden inneren Spannungen stünde die EU in jedem Fall vor einer neuen, diesmal aber zwingend zu Ende zu führenden Debatte über ihre innere Verfasstheit: Staatenbund, Bundesstaat oder etwas ganz anderes

UN: Massenabschiebungen sind illegal

Vermutlich ginge die Entwicklung zuerst in Richtung einer Gemeinschaft zum Ausgleich der Wirtschaftsinteressen mit lose verbundenen nationalen Politiken. Das hatten wir zwar schon einmal so ähnlich, nur könnte ein niedrigschwelliger Versuch der Integration des muslimisch geprägten Staats in die als „Christenklub“ kritisierte EU wohl kaum anders aussehen. Umgekehrt muss die EU ihre Chance wahren, die Türkei zu verändern. Und zwar unter den von McAllister genannten Gesichtspunkten. Das auch, um Altmaier bei der Aufgabe hierzulande nicht den Weg zu verstellen. Erste Kritiker sind ja auch schon auf den Plan getreten: der UN-Hochkommissar, der von der EU fordert, internationale Garantien bei den Menschenrechten nicht für ein Flüchtlingsabkommen aufzugeben. Und Massenabschiebungen nicht zuzulassen, denn sie seien illegal. Zusammengefasst: Legal, illegal, scheißegal ist in keinem Fall ein europäisches Zukunftskonzept.

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