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Europa: Wie geht es Island?

Es war das fünftreichste Land der Welt. Jetzt sind viele auf Suppenküchen angewiesen. EU-Mitglied könnte die Nation nun werden. Doch auf der Insel sind nicht alle davon begeistert.

Island ist Grönland näher als dem europäischen Festland. Und Reykjavik ist die nördlichste Hauptstadt der Welt. Mit rund 320 000 Menschen hat Island in etwa so viele Einwohner wie Pankow oder Neukölln. Bis zu ihrer Unabhängigkeit 1944 war die Insel im Nordatlantik lange Zeit dänische Kolonie. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise galt Island laut OECD als eines der reichsten Länder. Besonders berühmt ist Island für seine Pferde und seine heißen Quellen. Aber auch für seine Namen. Familiennamen sind selten, dafür tragen die Isländer meist den Vaternamen mit der Endung „Tochter“ (-dóttir) oder „Sohn“ (-son).

Gut sieben Monate musste die Regierung in Reykjavik warten, am Mittwoch war es soweit: Mit einem Schreiben an den Ministerrat beschied die EU-Kommission, dass die Europäische Union alsbald die Verhandlungen zum Beitritt Islands aufnehmen solle. Das Land sei „gut vorbereitet“, befand die Kommission und Islands Außenminister Össur Skarphédinsson freute sich über einen „wichtigen Schritt auf dem Weg nach Europa“.

Doch ob die kleine Inselnation im Nordatlantik mit ihren rund 320 000 Einwohnern tatsächlich der Union beitreten wird, ist höchst ungewiss. Die angekündigten Beitrittsverhandlungen fallen in eine Zeit großer wirtschaftlicher Not und politischer Spannungen, die sich jederzeit gegen die amtierende Regierung und ihre EU-Pläne entladen können.

WIE IST DIE WIRTSCHAFTLICHE LAGE?

Seit dem Zusammenbruch der überschuldeten Großbanken Kaupthing, Giltnir und Landsbanki im Oktober 2008 erfährt das Land einen tief greifenden Umbruch. Die Wirtschaftsleistung ging um fast ein Drittel zurück und die Arbeitslosigkeit schnellte von drei auf über zehn Prozent hoch. Gleichzeitig trieb der Wertverlust der isländischen Krone die Preise für die zumeist importierten Waren des täglichen Bedarfs um über dreißig Prozent nach oben. Derweil suchen immer mehr junge Leute ihr Heil im Ausland, während Tausende von Familien die Zwangsräumung ihrer Häuser fürchten müssen, weil sie die Hypotheken nicht mehr bezahlen können. „Bis 2007 waren wir das fünftreichste Land der Welt, jetzt gibt es schon fast zehntausend Isländer, die sich nicht mehr selbst ernähren können und auf Suppenküchen und private Hilfe angewiesen sind.“ So illustriert die von der neuen Volksbewegung ins Parlament entsandte Abgeordnete Birgitta Jonsdottir die Kränkung, die sie und ihre Landsleute durch die Krise empfinden.

WARUM WILL ISLAND IN DIE EU?

Der drohende Staatsbankrott konnte zwar mit Notkrediten des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der skandinavischen Länder in Höhe von bisher gut zwei Milliarden Dollar abgewendet werden. Aber wie bei IWF-Programmen üblich, geht dies einher mit einem radikalen Sparprogramm, das von drastisch erhöhten Benzinsteuern und Schulgebühren über einen Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst bis hin zur Schließung von Krankenhäusern reicht. All das macht Island nicht gerade attraktiv für neue Investitionen. Um die Flucht von Unternehmen und Arbeitskräften aufzuhalten, setzt die im vergangenen April nach einem Volksaufstand neu gewählte Regierung aus Sozialdemokraten und Linksgrünen deshalb auf den Beistand der EU-Staaten. Die mögliche EU-Mitgliedschaft, so hofft Premierministerin Jóhanna Sigurðardóttir, sollte Stabilität bringen. Daran haben viele Isländer aber inzwischen große Zweifel. Denn gleich zwei EU-Mitgliedsstaaten, Großbritannien und die Niederlande, bedrohen Island mit einer Art „finanzieller Geiselnahme“, wie es die Abgeordnete Jonsdottier nennt. An einer für Samstag nächster Woche angesetzten Volksabstimmung zum Thema droht nun auch die neue Regierung zu scheitern. Die Stimmung ist aufgeladen.

WORUM GEHT ES BEI DEM REFERENDUM?

Ursache für den Streit, der seit Monaten hohe Wellen schlägt, ist das finanzielle Erbe der erst 2003 privatisierten Landsbanki. Deren Manager hatten während des Kreditbooms von 2005 bis 2007 über ihre Online-Tochter Icesave holländische und britische Sparer mit hohen Zinsen zu milliardenschweren Einlagen verlockt und diese dann in riskante Anlagen investiert. Als deren Wert in der Krise verfiel und die Sparer ihr Geld zurückforderten, konnte die Bank nicht zahlen. Stattdessen entschädigten die Regierungen in London und Den Haag die aufgebrachten Anleger und forderten anschließend, Island müsse die volle Summe in Höhe von 3,9 Milliarden Euro zurückzahlen. Doch das entspricht fast 50 Prozent der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung Islands, etwa so, als ob Deutschland für seine Pleitebanken im Ausland mal eben das gesamte Steueraufkommen von zwei Jahren aufbringen müsste. Kritiker monierten zudem, dass nicht nur Islands Regierung, sondern auch die EU und ihre bis zur Untätigkeit deregulierte Bankenaufsicht versagt hätten. Die betroffenen Länder treffe somit eine erhebliche Mitschuld.

Trotz solcher Argumente war der linksgrüne Finanzminister Steingrimur Sigfusson nach Meinung seiner Kritiker aber mit den Verhandlungen überfordert. Er sicherte nicht nur die volle Rückzahlung binnen 15 Jahren zu, sondern gab sogar der Forderung nach, die ausstehende Summe mit 5,5 Prozent jährlich zu verzinsen. Kaum wurden die Konditionen bekannt, formierte sich eine massive Protestbewegung und auch das Parlament forderte zunächst eine Begrenzung der Zahlungen auf allenfalls sechs Prozent des Wirtschaftswachstums. Doch Britanniens Finanzminister Alistair Darling lehnte ab, und die isländische Regierungsmehrheit billigte das Abkommen schließlich doch noch. Weil aber binnen weniger Tage schon 40 Prozent aller Wahlbürger ihren Protest dagegen bekundeten, verweigerte Islands Präsident Olafur Ragnar Grimsson zu Beginn des Jahres seine Unterschrift unter das entsprechende Gesetz und erzwang damit das nun anstehende Referendum.

Daraufhin drohte Lord Myners, der britische Minister für den Londoner Finanzdistrikt, Island wolle wohl „nicht mehr Teil des internationalen Finanzsystems“ sein und gleichzeitig setzte der IWF die nächste Kredittranche aus. Eine Sprecherin dementierte zwar einen Zusammenhang, aber in Island wurde der Aufschub als Erpressungsmanöver interpretiert.

KANN DAS REFERENDUM NOCH VERHINDERT WERDEN?

Islands Finanzminister versucht seit Wochen verzweifelt, eine Allparteienkoalition zu schmieden und auf dieser Basis mit Briten und Niederländern zu einem neuen Abkommen zu kommen. Auf diese Weise will er die Abstimmung gegen seine Regierung doch noch verhindern. Doch die Chancen stehen schlecht. Das letzte britisch-niederländische Angebot, die Zinshöhe zu halbieren, lehnten die Vorsitzenden aller Fraktionen vergangenen Montag als unzureichend ab.

Angesichts der verfahrenen Lage ließ die Regierung in Reykjavik nun streuen, dass die für die Isländer im Ausland bereits ausgegebene Abstimmungsfrage wegen des neuen Angebots keinen Sinn mehr mache und darum womöglich eine Aussetzung des Referendums nötig sei – ein Vorgehen, das nach Meinung der Opposition verfassungswidrig wäre. „Wenn sie das machen, treiben sie die Leute hier in den Aufstand“, warnte die Abgeordnete Jonsdottir. Und was Proteste in Island bewirken können, hat die Politik bereits in der Vergangenheit zu spüren bekommen.

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