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Politik: Europa wirkt

Schnellere Verwaltung, Modernisierung auf dem Land und ein bisschen Stolz – drei Beispiele aus Estland, Polen und Tschechien

Tartu - Vor einem Jahr hat Wolfgang Richter noch gestaunt, wenn er durch Estland fuhr und überall die nagelneuen Traktoren und Mähdrescher sah. Ein Jahr nach der EU-Osterweiterung staunt er, dass sich kaum jemand mit den teuren Maschinen übernommen hat. Richter lebt seit zehn Jahren in der nördlichsten Baltenrepublik. In den sumpfigen Weiten nahe Estlands zweitgrößter Stadt Tartu hat er die Reste einer staatlichen Kolchose gekauft und in eine Käserei verwandelt. Die Situation des 61-Jährigen ist symptomatisch für das Land mit seinen nicht einmal 1,4 Millionen Einwohnern: Es geht aufwärts dank der EU, aber das Leben bleibt hart.

Die schicken Landmaschinen sind den Brüsseler Fördertöpfen und den günstigen Leasingangeboten der estnischen Banken – zumeist Ableger skandinavischer Geldhäuser – zu verdanken. Schon vor dem Beitritt förderte die EU den Kauf von Landmaschinen, teilweise mit mehr als 50 Prozent. Den Eigenanteil konnten Landwirte dank der Leasingmodelle leicht aufbringen: Nach mehrjähriger Ratenzahlung an die Bank gehören ihnen die Maschinen. Das Zinsniveau ist gering; Richter etwa zahlt 4,6 Prozent.

Nachdem der Fuhrpark erneuert ist, gibt Brüssel jetzt Geld für landwirtschaftliche Gebäude. Nun werden Silos und Ställe gebaut. Allerdings findet der Boom ohne die Kleinbauern statt: „Die haben verloren, die sind getötet worden“, sagt Richter. Kleinbetriebe, die sich keine modernen Kühlsysteme oder geflieste Räume leisten konnten, wurden wegen Nichteinhaltung der neuen Hygienevorschriften geschlossen. Das Sterben der Kleinbauern macht dem Käsehersteller aber weiter zu schaffen: Seit deren Milch vom Markt verschwand, halten die Großen die Preise hoch.

Auch bei den Handelsbeziehungen ist Richters Meierei exemplarisch für das kleine Land: Er bemüht sich intensiv – aber bislang vergeblich – um einen Einstieg in den finnischen und schwedischen Markt. Auf Geschäfte mit dem riesigen, vielen Esten noch immer verhassten Nachbarn Russland setzt er nach einem gescheiterten Anlauf nicht mehr. „Es gibt eine totale Hinwendung nach Westen“, sagt Richter – und zwar in allen Lebensbereichen.

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Zyrardow - Grün keimen die Bäume im morschen Dachgestühl, sanft streicht der Frühjahrswind durch die leeren Fensterhöhlen der Spinnerei. Der trostlose Zustand der Ruine im Zentrum der zentralpolnischen Kleinstadt Zyrardow kann Stadtsprecher Jaroslaw Komza indes kaum verdrießen. Vom „ungeheuren Potenzial der Stadt“ schwärmt der 30-Jährige, während sein Blick über Bauschutt und die bröckelnde Backsteinpracht der einst größten Leinenfabrik des Kontinents schweift. 1829 errichtet, zählte sie 1989 noch immer 5000 Mitarbeiter. 1996 kam dann das Aus – und der Verfall. Doch nun wird wieder aufgebaut: Für alle Fabrikgebäude sei ein neuer Eigentümer gefunden, berichtet Komza.

Als der gelernte Kaufmann 1997 bei der Stadt anheuerte, stand diese vor scheinbar unlösbaren Aufgaben. Die Wirtschaft musste diversifiziert, neue Arbeitsplätze geschaffen, das denkmalgeschützte, aber völlig heruntergekommene Zentrum modernisiert werden. Ungeheure Anstrengungen habe die Verwaltung damals unternommen: „Doch lange war der Berg der Probleme so groß, dass man überhaupt keinen Effekt sah.“ Pläne zur Wiederbelebung der Innenstadt seien schon seit den 90er Jahren geschmiedet worden, erzählt Stadtsprecher Komza. „Doch uns fehlte einfach das Geld.“

2003 stellte die Stadt ein Team auf, das sich um EU-Strukturmittel bemühen sollte. Der Erfolg blieb nicht aus: Sieben der 17 von der EU in diesem Jahr in Polen als förderungswürdig eingestuften Projekte zur Stadterneuerung wurden von Zyrardow eingereicht. Die knapp drei Millionen Euro an EU-Zuschüssen für die Modernisierung von Schulen, Straßen und den Stadtpark bezeichnet Komza als „kleinen, aber wichtigen Beginn“.

Inzwischen ist die einstige Problemstadt in Polen zum Vorbild in Sachen Stadterneuerung anvanciert. Im Büro von Komza, der im Vorstand des polnischen Forums für Stadtrevitalisierung sitzt, drücken sich neuerdings neugierig-neidische Verwaltungsbeamte aus anderen Städten des Landes die Klinke in die Hand. Lange habe in Polens Verwaltung kurzfristiges Denken und Klientelwirtschaft dominiert, urteilt er. Erst mit der EU sei ein Mentalitätswandel in den heimischen Amtsstuben eingezogen: „Die EU hat die Planung objektiviert. Die Zeiten, in denen nur Kontakte und Bekanntschaften zählten, sind endgültig vorbei.“

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Prag - Für Paulina Frydkova hat sich der Beitritt Tschechiens vor einem Jahr zunächst einmal in ihrem Arbeitsumfeld bemerkbar gemacht: Die 29-Jährige arbeitet für das tschechische Außenministerium. Bis zum Beitritt kümmerte sich ihr Ressort auch um die Beziehungen zur EU. Jetzt sagt sie, sei EU-Politik Innenpolitik. Ansonsten glaubt sie, dass der Beitritt für die Tschechen vor allem symbolischen Charakter hat: „Wir haben uns immer als Westeuropäer gefühlt, deshalb bin ich ebenso wie die meisten Tschechen stolz, dass wir jetzt auch offiziell in diesem Super-Klub dabei sind.“

Im täglichen Leben hingegen kann Paulina Frydkova kaum Veränderungen feststellen, und dass der tschechische Rum nach EU-Richtlinien nicht mehr als Rum bezeichnet werden darf, weil er eine andere Konsistenz hat, schmerzt sie in ihrem Nationalstolz nicht wirklich. „Der viel wichtigere Schritt für mein Leben wurde 1989 gesetzt. Denn die Reformen, die es nun in Tschechien gibt, haben ihren Ursprung im Sturz des Kommunismus und nicht im EU-Beitritt“, sagt die Juristin.

Dennoch stellt sie fest, dass die EU die Reformen in Tschechien beschleunigt hat – vor allem in der Phase der Beitrittsverhandlungen. Dabei wurden den Tschechen viele Auflagen gemacht, etwa im Sozial- oder im Rechtssystem, die zu einer Modernisierung der Gesetzgebung geführt haben. Dass die EU auch Auswirkungen auf die tschechische Innenpolitik hatte, das sagt Frydkova ebenfalls. Schließlich sind seit dem EU-Beitritt in Prag gleich zwei Regierungen zurückgetreten – so viele wie in keinem anderen Beitrittsland. „Seit dem Beitritt gibt es ein wachsendes Unrechtsbewusstsein in unserem Land. Politiker dürfen sich nicht mehr so viel erlauben wie früher.“

Markus Huber[Stefan Jacobs], Thomas roser

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