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Europäer unter sich: Vorsicht, tedeschi!

In der Krise zerbröselt auch europäisches Wir-Gefühl. Ein italienisch-deutsches Beispiel

Cecilia Malmström macht sich Sorgen. Ein Europa ohne Binnengrenzen, das sei „viel zu kostbar, um es von populistischen oder nationalen Streitereien kaputt machen zu lassen“. Die Brüsseler Innenkommissarin hat in ihrem Blog die Entscheidung der nationalen Regierungen kritisiert, es jedem EU-Land selbst zu überlassen, ob es wieder Grenzkontrollen will. Eine Entscheidung, von der auch die deutschen Medien so wenig Aufhebens machten, als sei das nicht mehr als ein bürokratischer Akt. Malmström dagegen weist auf eine rasche Veränderung hin: Noch vor einem Jahr seien auch die nationalen Regierungen noch ihrer Meinung gewesen.
Die Schlagbäume gehen wieder hoch im einst feierlich geeinten und erweiterten Europa, die Euro-Zone bereitet sich auf ihr Auseinanderbrechen vor. Aber auch in den Köpfen scheint sich etwas zu ändern. Die Renationalisierung Europas macht dort gerade besonders schnelle Fortschritte. Und der neualte Nationalismus ist, wie auch anders, einigermaßen aggressiv gegen „die Anderen“.
Dafür liefert derzeit gerade Italien Anschauungsmaterial, 1957 Schauplatz der Gründung des gemeinsamen Europa durch die Römischen Verträge und seit je eines seiner überzeugtesten Mitglieder. Doch auch hier bröckelt der Konsens. Vor drei Wochen etwa räumte der populistische Komiker Beppe Grillo mit seiner Bewegung „Fünf Sterne“ bei Teilkommunalwahlen ordentlich ab. Grillo schaffte fast ein Fünftel der Stimmen und darf sich sogar über einen Parteifreund auf dem Bürgermeisterposten im reichen Parma freuen. Dabei ist seine Aversion gegen Deutschland obsessiv und geradezu programmatisch – es ist also anzunehmen, dass sie von seinen Anhängern geteilt wird und dass jene Hälfte der Italiener, die Grillo in Umfragen für wählbar hält, das jedenfalls nicht so schlimm findet.

Den Erfolg im Norden kommentierte Grillo mit den Worten: „Stalingrad haben wir schon eingenommen, jetzt geht’s nach Berlin.“ Auf Grillos Website beklagt Ida Magli die „deutsche Besatzung“. Magli, in den 70ern eine zentrale Figur der italienischen Frauenbewegung, macht sich heute mehr Sorgen um die angeblich durch Brüsseler Gleichmacherei bedrohten europäischen Kulturen. Dabei sind die Kriegsmetaphern und Anspielungen auf die Zeit der blutigen occupazione tedesca Italiens ab 1943 kein Vorrecht kurioser Volkstribunen wie Grillo. Auch anderswo, selbst unter linken Intellektuellen, mischt sich zusehends rationale Kritik an der deutschen Sparkommissarin Merkel mit Ressentiments gegen die angeblich ewige deutsche Herrschsucht. Vorsicht, die Deutschen kommen!
Dabei hat gerade ein renommiertes US-Umfrageinstitut festgestellt, dass Deutschland trotz Krise noch immer das europäische Land ist, das die anderen Europäer am meisten bewundern. Auch das deutsche Führungspersonal werde am meisten respektiert, stellte das Pew Research Center fest.
Täuschen wir uns da nicht. Eines der treffendsten Bonmots zum deutsch-italienischen Verhältnis lautet: Die Deutschen lieben die Italiener, doch sie respektieren sie nicht. Die Italiener respektieren die Deutschen. Aber sie lieben sie nicht.

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