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Europäische Außenpolitik: Kapazität der EU zur Friedenssicherung schwindet

Mit der Ernennung Catherine Ashtons zur Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik haben sich die Briten scheinbar großen Einfluss im außenpolitischen Machtgefüge der EU gesichert. Doch das Krisenmanagement wird von Deutschen und Franzosen bestimmt - und es hat einen stark militärischen Geschmack. Ein Gastbeitrag von Alain Délétroz

Ein üppiges Festmahl findet in Brüssel statt. Dabei werden einige besser als andere gefüttert. Wie eine unverdauliche Buchstabensuppe hören sich für Außenstehende die neuen EU-Institutionen an, die sich nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags mit Außenpolitik beschäftigen. Eher als eine Suppe ist es aber ein Bankett - von Patronage, Gefallen und Einfluss. Die Briten denken, sie hätten mit der Ernennung Catherine Ashtons zur Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik den besten Sitzplatz am Banketttisch bekommen, doch sie irren. Bestimmt wird das Menü nämlich von den Deutschen und den Franzosen, und der erste Gang hat schon mal einen stark militärischen Geschmack.

Derzeit geht es um ein Organ, welches Crisis Management and Planning Directorate-CMPD getauft wurde, zu Deutsch "Direktorat für Krisenmanagement und Planung". Es soll einen wichtigen Teil von Ashtons Auswärtigem Dienst bilden, also dem neuen Europäischen Diplomatischen Corps. Im Dezember 2008 einigte sich der Europäische Rat auf die Verschmelzung in ein einziges Direktorat der zivilen und der militärischen Sparte der europäischen Friedensmissionsplanung. Es war ein logischer Schritt, der die EU dazu befähigen sollte, effektiver auf Konfliktsituationen zu reagieren.

Militärischer Aspekt dominiert

Jetzt wo diese neue Struktur Gestalt annimmt, wird jedoch deutlich, dass der militärische Aspekt dominiert. Zivile Experten, wie etwa der ehemalige Direktor der zivilen Krisenbewältigung, wurden aus den Entscheidungskreisen verdrängt. Doch das ist nicht alles. Auf der Liste für die sogenannte "integrierte strategische Planung" in der vorübergehenden CMPD-Struktur scheinen nur ein Fünftel der Namen ziviles Planungswissen mitzubringen.

Diese Entwicklung ist aus zwei Gründen bizarr. Erstens waren bisher die überwiegende Mehrheit der europäischen Missionen in Krisengebieten zivil; 21 von 27, um genau zu sein. Die EU war schon immer ein viel effizienterer Akteur in den zivilen Komponenten der Konfliktbearbeitung und Friedensförderung - wie beispielsweise in den Bereichen Polizei, Rechtsstaatlichkeit und Grenzschutzmissionen - als es jemals auf der militärischen Seite gewesen ist. Zweitens: Unter den vielen Erfahrungen aus Bosnien und anderen Missionen, ist klar, dass das Militär nichts mehr verabscheut, als Aufgaben zu erledigen, für die es nicht geschult wurde. Niemals sollte es zu Polizeiaufgaben oder zur Einführung von Justizreformen aufgefordert werden.

Militärexperten sollen zivile Missionen planen

Doch diese Realität wird nun in der Führung und Struktur der CMPD nicht widergespiegelt. Stattdessen wurden die traditionellen Stärken der EU ignoriert. Jetzt schauen wir in eine Zukunft, in der Militärexperten die Planung ziviler Missionen übernehmen.

Wie und warum konnte dies geschehen? Ganz einfach: Die aktiven Mitgliedsländer der Union, die genau wissen, was sie wollen, nutzen die besten Teile für sich. Die anderen schauen währenddessen zu. Frankreich drängte seine Sicht nach vorn, und stieß nur bei den Deutschen auf Widerstand. Eine Abmachung, die Deutschland wichtige Positionen an einer anderen Stelle der Post-Lissabon-Ära sichert, scheint der Grund der dominierend französischen Vision des CMPD zu sein. Die Briten und andere Europäer, die an diesen Missionen mitwirken, haben den Handel entweder bewusst zugelassen oder haben es nicht bemerkt. Sie werden erst dann protestieren, wenn sie Personal für die neuen europäischen Friedensförderungseinsätze beitragen müssen.

Nein, dies ist nicht ein weiterer Brüsseler Kuhhandel. Auch ist die CMPD kein obskures Element innerhalb der EU-Maschinerie. Es geht buchstäblich um Leben und Tod, sowohl für die Menschen in den Krisengebieten als auch für die europäischen Bürger, die an laufenden und an künftigen Missionen beteiligt sind und sein werden. Die CMPD wird das Herzstück des neuen Europäischen Auswärtigen Dienstes sein. Es wird das Organ sein, welches sich mit den schwierigsten globalen Friedens- und Sicherheitsproblemen, in denen die EU eingebunden ist, beschäftigen wird.

Mehr Kompetenzen für den Europäischen Auswärtigen Dienst

Die EU braucht eine Institution, die den gesamten "Konfliktzyklus" bewältigen kann, von der Prävention zur Krisenbewältigung, dem Wiederaufbau und der Entwicklung. Der Vertrag von Lissabon erteilt der Hohen Vertreterin eindeutig Autorität über "die Koordinierung der zivilen und militärischen Aspekte" von "friedenserhaltenden Aufgaben ... Aufgaben wie Kampfeinsätzen bei Krisenbewältigung, einschließlich Friedensbemühungen und Post-Konflikt-Stabilisierung". In der Tat sollten all diese Aufgaben und die damit verbundenen Finanzinstrumente nun komplett von der Kommission an den Europäischen Auswärtigen Dienst übergehen. Um maximale Effizienz zu erreichen, sollte eine einzige Generaldirektion für die Friedenssicherung und Krisenbewältigung geschaffen werden.

Im Idealfall würde Ashton unter dem Lissabon-Vertrag die Verantwortung und die Führung über alle an der Außenpolitik beteiligten Direktorate übernehmen: Entwicklung, Nachbarschaft, humanitäre Hilfe. Leider entspricht der Ehrgeiz des Lissabontextes noch nicht Ashtons eigenem. Sie zieht es vor, bescheiden zu bleiben. Lieber koordiniert sie die Außenpolitik zusammen mit den Kommissaren, anstatt eine ausgesprochene Verfechterin der Rolle der EU im Bereich der Friedenssicherung zu sein.

Ashtons Aufgabe ist massiv und kompliziert. Doch wenn sie ein CMPD zulässt, in dem der militärische Aspekt der EU-Missionen stärker gefördert wird, erschwert sie ihre Arbeit umso mehr. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für all diejenigen, die ihr im Amt folgen werden. Die Strukturen, die heute geschaffen werden, werden sich über Jahrzehnte nachhaltig auf die Art und Weise, wie die EU-Projekte in der Welt wahrgenommen werden, auswirken. Die Kapazität der Union zur Konfliktverhütung und zur Friedenssicherung hat gerade einen herben Schlag erlitten. Wird der Kurs nicht rechtzeitig korrigiert, wird diese Entwicklung äußerst negative Auswirkungen auf das Engagement der EU in Krisengebieten weltweit haben.

Zur Person

Alain Délétroz ist Vizepräsident für Europa der International Crisis Group, www.crisisgroup.org

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