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Helferinnen beim Kistenschleppen - erst einmal für die Erstunterkunft (hier in München). Später muss der Staat sich mit Wohnsitzvorschriften zurückhalten.

© Nicolas Armer/dpa

Europäischer Gerichtshof: Richter schränken Wohnsitzvorschriften für Flüchtlinge ein

Der Staat darf bestimmten Flüchtlingen grundsätzlich ihren Wohnort vorschreiben. Dieses Recht hat allerdings enge Grenzen.

Eine Wohnsitzauflage, also Behördenvorschriften, wo ein Flüchtling zu wohnen hat, ist nur rechtmäßig ist, wenn das die Integration der Betroffenen erleichtert. Das hat der Europäische Gerichtshof am Dienstag entschieden. Angefragt hatte das Bundesverwaltungsgericht.

Luxemburg betont Recht auf Freizügigkeit

Dass der Staat die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen so besser verteilen kann, darf nicht der einzige Grund sein und es darf auch - anders als in Deutschland - keine generelle Vorschrift für Menschen sein, die hier subsidiären Schutz genießen. Andernfalls werde das Recht auf Freizügigkeit verletzt.

Die Luxemburger Richter hatten die Fälle eines Mannes und einer Frau aus Syrien geprüft, die 1998 und 2001 nach Deutschland kamen und hier den eingeschränkten subsidiären Schutz erhielten. Das Bundesverwaltungsgericht, das in Luxemburg um Prüfung gebeten hatte, muss nun entscheiden. Subsidiär geschützt sind Menschen, die weder als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention gelten noch als Asylbewerber anerkannt werden, denen aber in ihrer Heimat Gefahr für ihr Leben droht.

Die seit Oktober verabschiedeten Asylpakete I und II haben die Wohnauflagen für Asylbewerber im Verfahren bereits beide verschärft. Die Bundesregierung plant außerdem, auch anerkannten Asylbewerbern demnächst ihren Wohnort vorzuschreiben.

"Deutsch lernen müsen alle"

Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl forderte die Koalition auf, diese Pläne nach dem Spruch aus Luxemburg aufzugeben und die Wohnsitzauflage für subsidiär Geschützte fallen zu lassen. Für andere Gruppen von Migrantinnen gebe es sie nämlich nicht - und Luxemburg fordere Gleichbehandlung. Subsidiär Geschützte befänden sich aber "nicht in einer anderen Situation, was das Ziel der Integration angeht". Auch andere müssten "Deutsch lernen, sich in den Arbeitsmarkt integrieren und Teilhabemöglichkeiten erhalten", erklärte Marei Pelzer, Referentin für Rechtspolitik bei Pro Asyl. Nach den Worten des Grünen-Innenpolitikers Volker Beck ist die Luxemburger Entscheidung "kein Blankoscheck für weitre Schikanen gegen Flüchtlinge". Wohnsitzauflagen dienten nicht der Integration, sondern erschwerten sie - etwa weil sie es zu einer "höchstbürokratischen Angelegenheit", machten, Arbeit zu finden.

Der Deutsche Landkreistag sah sich dagegen in seiner Auffassung bestätigt, dass Wohnsitzauflagen nötig und möglich seien. "Eine Wohnsitzauflage – aus kommunaler Sicht sogar weitergehend eine die Reisefreiheit beschränkende Residenzpflicht – ist Voraussetzung für die gelingende Integration von Flüchtlingen." Ohne sie seien "kommunale Integrationsangebote nicht planbar".

Wohnsitzvorschriften mit schwankendem Erfolg

Die Geschichte der Wohnsitzauflagen in Deutschland ist allerdings wenig glücklich, da sie die Interessen und sozialen Bindungen der Betroffenen nie berücksichtigte und ausgerechnet ihrer für die Integration wichtigen Möglichkeiten zur arbeiten beschnitt. Schon nach dem Krieg galten für viele der stark zerstörten Städte in Nachkriegsdeutschland Zuzugssperren. Wer sich nicht anmelden konnte, hatte auch kein Recht auf die dringend benötigten Lebensmittelkarten. Schon damals zogen Flüchtlinge auch illegal zu Verwandten in die Städte, die Unterbringungen auf dem Land funktionierte allerdings, weil die Menschen dort in der Tat besser versorgt waren - wenn auch nicht unbedingt wohlgelitten. 1950 wurden noch 12,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene gezählt, in der sowjetischen Besatzungszone lag ihr Anteil an der Bevölkerung bei einem knappen Viertel (24,3 Prozent) der Gesamtbevölkerung, in den westlichen Zonen zwischen 18 und 15 Prozent.

Berlin: Anreize funktionierten besser als Verbote

In Deutschland, speziell in Berlin, ist amtliche Regelung des Wohnsitzes eng mit der Westberliner Zuzugssperre aus dem Jahr 1975 verbunden, zwei Jahre nach dem bundesdeutschen Anwerbestopp 1973. Sie galt für die Bezirke Tiergarten, Wedding und Kreuzberg und sollte Ghetto-Bildung verhindern. In den drei Bezirken lebten damals 46,5 Prozent aller Westberliner Ausländer. Doch der Verwaltungsaufwand erwies sich als zu hoch im Verhältnis zum gewünschten Ziel - das auch nicht erreicht wurde, weil in den gesperrten Bezirken die Zahl der Deutschen wie der Nichtdeutschen abnahm. 1980 wurde die Zuzugssperre ausgesetzt, zehn Jahre später ganz aufgehoben. Als nützlicher erwies sich ein Anreizsystem: Ein paar Jahre lang wurde öffentlich geförderter Wohnraum außerhalb der ausländischen Kieze zu einem Teil an Nichtdeutsche gegeben.

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