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Europaparlament: EU will eigenes Geld einnehmen

Die Kommission und das Europaparlament sehen die Union finanziell nicht gewappnet für die Aufgaben der Zukunft. Deutschland und die anderen Mitgliedsstaaten geraten immer stärker unter Druck, der Europäischen Union eigenes Geld zur Verfügung zu stellen.

Vor der heutigen Abstimmung zum EU-Haushalt 2011 fordern alle Fraktionen im Straßburger Europaparlament angesichts neuer Gemeinschaftsaufgaben, die der Lissabonner Vertrag vorsieht, mehr Geld. Zukunftsweisende Bereiche seien „deutlich unterfinanziert“, sagte am Dienstag der sozialdemokratische Fraktionschef Martin Schulz. Da aber eine Obergrenze existiert, wie hoch der Beitrag eines Mitgliedstaates maximal sein darf, drängt sich die Frage nach eigenen Einnahmequellen der EU auf.

„Das jetzige Finanzierungssystem ist nicht den Erfordernissen angepasst“, sagte der Elsässer Joseph Daul, Fraktionschef der europäischen Christdemokraten. „Mit dem System der nationalen Geldbeiträge töten wir die Union“, warnte auch sein liberaler Amtskollege, Belgiens Expremier Guy Verhofstadt. Es sei an der „Zeit, die Debatte über neue Eigenmittel zu führen“.

Tatsächlich heißt es in Artikel 311 des Lissabonner Vertrages: „Der Haushalt wird unbeschadet der sonstigen Einnahmen vollständig aus Eigenmitteln finanziert.“ Als solche werden bisher die Überweisungen aus den Nationalstaaten gedeutet – was auch nach Ansicht des europäischen CDU-Haushaltsexperten Reimer Böge nicht ganz unproblematisch ist: „De facto verstoßen wir permanent gegen den EU-Vertrag.“ Nächste Woche weilt er in Berlin, um seine Parteikollegen für eine EU-Steuer zu erwärmen. Dabei ist der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag eindeutig: „Eine EU-Steuer oder die Beteiligung der EU an nationalen Steuern und Abgaben lehnen wir ab.“ So steht EU-Vertrag gegen Koalitionsvertrag.

Der Brüsseler Haushaltskommissar Janusz Lewandowski, der am Dienstag im Straßburger Parlament eine Zwischenbewertung zum laufenden EU-Finanzrahmen 2007 bis 2013 abgab, sieht ebenfalls Handlungsbedarf – obwohl klar ist, dass alle 27 Staaten einem neuen System zustimmen müssten. Er brachte Einnahmen aus dem Emissionshandel, einer möglichen Finanzmarktsteuer, eine Ticketabgabe und eine Energiesteuer ins Spiel.

Das Parlament hat in seinem Etatentwurf für 2011, der mit 130,1 Milliarden Euro vier Milliarden Euro über den Vorstellungen des Ministerrates liegt, bereits eine leere Haushaltslinie für eigene EU-Einnahmen reserviert. Für die 27 Regierungen sagte Innenminister Melchior Wathelet aus Belgien, der Haushalt 2011 sei „nicht der Ort“ für solche Debatten.

Das Parlament will jedoch den aktuellen Haushalt als Druckmittel benutzen, um langfristig einen Einstieg in eine EU-Eigenfinanzierung zu erwirken. Kurzfristig, so der CDU-Europaabgeordnete Böge, sollen im Zuge des am 27. Oktober beginnenden Vermittlungsverfahrens Änderungen des geltenden Finanzrahmens bis 2013 durchgesetzt werden. So wird mehr Flexibilität im Etat gefordert. Die Kommission stellte am Dienstag fest, dass man mit den geltenden Haushaltsregeln „zu langsam“ auf Umweltkatastrophen wie den Tsunami, die Finanzkrise oder sich verteuernde Großprojekte wie das Satellitensystem Galileo oder den Kernfusionsreaktor Iter reagieren könne. Bei letzterem fehlen aktuell 1,4 Milliarden Euro, die die Parlamentsmehrheit von den Mitgliedsstaaten einfordert.

Die Brüsseler Behörde regt daher nicht nur eine Debatte über neue Finanzinstrumente wie Kreditgarantien an, sondern will auch über die künftigen Prioritäten debattieren. Forschung und Entwicklung, der Ausbau europäischer Infrastruktur sowie der Klimaschutz stehen dabei im Zentrum. EU-Kommissionschef José Manuel Barroso forderte am Dienstag in Straßburg „eine offene Debatte ohne Tabus“.

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