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Seehofer

© dpa

Europapolitik: Karlsruhe liegt in Bayern

Die CSU will das Verfassungsgericht zur Oberinstanz für die Auslegung des Lissabon-Vertrages machen. Die europapolitischen Forderungen von CSU-Chef Seehofer gehen der CDU langsam zu weit.

Von Robert Birnbaum

Berlin/München - Angela Merkel ließ Verständnis für den Kollegen Parteivorsitzenden durchblicken. Horst Seehofer, hat die CDU-Chefin ihrem Parteipräsidium am Montag dargelegt, müsse sich am Samstag beim CSU-Parteitag ja der Wiederwahl stellen. Und es liege durchaus im allgemeinen Interesse, dass er dort ein gutes Ergebnis bekomme. Die Anwesenden verstanden den Hinweis. CSU-Vorsitzende leben traditionell vom Krawall mit der Schwesterpartei. Doch es gehört ebenso zur Tradition, dass sie es nicht auf die Spitze treiben, sobald die Renitenz ihren Zweck erfüllt hat.

Ob der Krach, den Seehofer in der Europapolitik gerade vom Zaun gebrochen hat, den gleichen Gesetzen folgt, wird sich zeigen. Immerhin gab der CSU-Chef am Montag seinerseits Entspannungszeichen: Die CSU wolle mehr Mitspracherechte für Bundestag und Bundesrat in der Europapolitik durchsetzen – „da bin ich Überzeugungstäter“; eine „Blockade“ wolle er aber nicht. Wo genau zwischen Überzeugungstäterschaft und Blockade eine Kompromisslinie verlaufen könnte, gab er freilich ebenso wenig zu verstehen wie CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla: Beide beließen es dabei, Zuversicht zu zeigen, dass man sich einigen wird.

Dabei ist das gar nicht einfach. Seit das Verfassungsgericht die deutsche Zustimmung zum EU-Reformvertrag von Lissabon an eine klarere Kontrolle Europas durch Bundestag und Bundesrat geknüpft hat, brüten Fachleute aller Parteien darüber, wie man das Urteil umsetzen kann. Im Kern geht es dabei um die Frage: Wie kann das Parlament stärker in europäische Grundsatzentscheidungen eingebunden werden, ohne dass gleichzeitig die Bundesregierung in Brüsseler Nachtsitzungen ihren Bewegungs- und Verhandlungsspielraum einbüßt?

Vor einiger Zeit nahmen sich Seehofer und sein Generalsekretär Alexander Dobrindt der Sache an. Seither herrscht Krawall. Erst stauchte Seehofer seinen eigenen Europa-Spitzenkandidaten Markus Ferber zusammen. Ferber hatte auf das Problem der Handlungsfähigkeit hingewiesen, und er hatte für seine Position auch dann noch und sogar via Internet-Video geworben, als Dobrindt sich mit ihm schon öffentliche Duelle lieferte. Die Renitenz trug Ferber am Sonntag in einer CSU-Spitzenrunde von Seehofer den Vergleich mit einem Taliban ein – bei denen seien Videobotschaften üblich!

Anschließend setzte der CSU-Chef seine Linie durch. Die umfasst 14 Punkte. Der zentrale Streitpunkt läuft darauf hinaus, dass Bundestag und Bundesrat künftig in europäischen Fragen ein imperatives Mandat bekommen sollen: Sie sollen das Recht erhalten, zu EU-Entscheidungen eine Stellungnahme abzugeben – und wenn sie das tun, soll die für die Bundesregierung verbindlich sein. Die Forderung geht über das hinaus, was das Verfassungsgericht zwingend vorgeschrieben hat. Das Gleiche gilt für CSU-Ideen, das Gericht in Karlsruhe zur Oberinstanz für die Auslegung des Lissabon-Vertrags zu machen – der Europäische Gerichtshof würde für Deutschland nur noch zweite Geige spielen.

In der CDU-Spitze herrscht Einigkeit, dass das so nicht geht. Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, spricht aus, was viele seiner Parteifreunde denken: „Selbstverständlich müssen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag die Rechte von Bundestag und Bundesrat gestärkt werden. Auf der anderen Seite müssen wir darauf achten, dass das Unternehmen Europa nicht durch zu starrre Bindungen manövrierunfähig wird.“ Eine deutsche Regierung, die in Brüsseler Nachtsitzungen nicht mehr flexibel verhandeln kann, weil sie durch ihr Parlament gebunden ist – unvorstellbar.

Eskalieren lassen will die CDU-Führung den Konflikt aber mitten im Wahlkampf nicht. Denn Merkel weiß, was auch die CSU-Spitze weiß: „Diesmal braucht sie uns“, sagt einer aus dem Münchner Führungskreis. „Ohne die Bayern kein Wahlsieg im Herbst.“ Bei der CDU trösten sie sich vorerst damit, dass Seehofer am Samstag ja gewählt sein wird – und dass danach die Überzeugungstäterei ein wenig nachlässt.

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