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Im Vergleich. Die einzelnen Nationalstaaten könnten nicht mit der Größe der USA oder China mithalten - die Vereinigten Staaten von Europa möglicherweise schon.

© Tsp

Europas Einheit: Zurück nach vorn

Auf den ersten Blick streiten die Staats- und Regierungschefs über Euro-Bonds, tatsächlich aber geht es um mehr: die Einheit Europas. Was spricht für die Vereinigten Staaten von Europa?

Es gibt keinen Weg zurück. Mal angenommen, die Einheit Europas wäre nicht in sich erstrebenswert, und es ginge bei der Europäischen Union nicht um die entscheidende Lehre aus den beiden Weltkriegen und auch nicht um eine Antwort auf die Globalisierung – selbst dann führt kein Weg zurück.

Zwar behaupten Umfragen, dass die Mehrheit der Deutschen die D-Mark wiederhaben möchte. Und selbst der Bundeswirtschaftsminister scheint davor nicht gefeit zu sein. „Ich sag es manchmal gerne in D-Mark, weil ich manchmal noch so denke“, sagte Rainer Brüderle (FDP) jüngst bei einem Vortrag vor der Berliner Industrie- und Handelskammer – die so umgerechneten Milliardeninvestitionen klangen doppelt so imposant. Aber ob die Deutschen mit den katastrophalen Folgen leben könnten, die eine Rückkehr zur D-Mark hätte, hat noch kein Institut erforscht.

Wenn die größte Volkswirtschaft der Europäischen Union der Gemeinschaftswährung den Rücken kehrte, wäre nicht nur dieses Staatengebilde samt dem Euro am Ende, sondern stünde sofort die deutsche Wirtschaft vor erheblichen Problemen. Im Handel mit europäischen Partnern, der für die Exportnation Deutschland am wichtigsten ist, müssten plötzlich wieder Zollbestimmungen und Wechselkurse beachtet werden. Zu erwarten wäre, dass die D-Mark wegen der Wirtschaftskraft Deutschlands irrwitzig hoch bewertet würde, während alle anderen europäischen Währungen relativ wenig gefragt wären. Das würde deutsche Produkte verteuern, die Außenstände der Unternehmen im Ausland schrumpfen lassen und so das Exportmodell infrage stellen. Ex-Kanzler Helmut Schmidt (SPD) spricht von bis zu einer Million Arbeitsplätzen, die das kosten könne – aber die Zahl dient eher als Metapher, weil sich eine belastbare Rechnung nicht aufmachen lässt. Obendrein müssten Deutschland und die deutschen Banken wohl die Anleihen anderer europäischer Regierungen weitgehend abschreiben.

Wenn es aber keinen Weg zurück gibt, kann die Frage selbst für mäßig überzeugte Europäer nur lauten: Was ist zu tun, damit die EU besser funktioniert, der Euro stabiler wird und die Einheit gelingt? Die Königsdisziplin ist dabei die Haushaltspolitik. Wer das Geld hat, hat die Macht – deswegen sind die 27 Staats- und Regierungschefs, die heute ihren Gipfel in Brüssel abschließen, ungleich mächtiger als Europäische Kommission oder Europaparlament. Der Maastricht-Vertrag sollte dafür sorgen, dass die EU-Staaten haushaltspolitisch ähnlich agieren, ohne dass es tatsächlich eine gemeinsame Politik gibt. Demnach darf das jährliche Defizit nicht mehr als drei Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachen und die gesamte Verschuldung eines Staates nicht 60 Prozent übersteigen. Doch waren es gerade Deutschland und Frankreich, die mit ihrer wiederholten Verletzung der Vorgaben den Stabilitätspakt entwertet haben.

In diese Lücke versucht Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker mit seinem Vorschlag einer gemeinsamen Anleihe zu stoßen, die eine europäische Schuldenagentur am Markt platzieren könnte. Einen Teil ihrer Kredite – 40 oder 50 Prozent – sollen die EU-Regierungen mit diesem Instrument aufnehmen, wodurch alle für diesen Teil ihrer Schulden die gleichen Zinssätze zahlen würden. Aus der Bundesregierung wurde lanciert, dass dieses Verfahren Deutschland jährlich 17 Milliarden Euro kosten würde. Doch der Wirtschaftsweise Peter Bofinger bezweifelt diese Rechnung, da ja die Finanzmärkte dann die einzelnen EU-Staaten nicht mehr auseinanderdividieren könnten und möglicherweise finanzstarke Staaten wie China oder die Emirate stärker auf den Euro setzen würden als bisher. Der Euro würde demnach auf längere Sicht nicht schwächer, sondern stärker. So oder so würden gemeinsame Anleihen eine stärker abgestimmte Haushaltspolitik geradezu erzwingen. Doch das Wort von der gemeinsamen Haushaltspolitik meint mehr als nur eine bessere Abstimmung: In Teilbereichen müsste es gemeinsame Einnahmen geben. Bisher ist eine Steuer auf EU-Ebene aber ein rotes Tuch für alle Regierungen.

Aber wenn etwa Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) fordert, auf längere Sicht sollten die Nationen mehr von ihrer Haushaltshoheit abgeben, dann denkt er in diese Richtung: Eine oder mehrere Steuerarten könnten nach Brüssel abgegeben werden, um gemeinschaftliche Aufgaben direkt zu finanzieren. Unter dem Strich dürfte die Belastung der Bürger aber nicht steigen, damit der Unmut nicht übermächtig würde. Denkbar wäre es auch, eine Finanztransaktionssteuer auf diesem Weg zu erheben.

Gemeinschaftliche Aufgaben, die zu einer europäischen Identität beitrügen, gäbe es genug, etwa bei Polizei, Justiz oder Militär. Zwar kennen diese Bereiche bereits viele gemeinschaftliche Institutionen, etwa Europol, Eurocorps oder den Europäischen Gerichtshof. Aber sie existieren stets neben nationalen Einrichtungen. Von größtem Symbolgehalt für die europäische Einigung und letztlich für die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa wäre es, eine gemeinsame Armee aufzustellen, die sämtliche nationalen Streitkräfte ablöst. Das politische Signal wäre kaum zu überschätzen – und, nebenbei, der fiskalische Nutzen auch.

Ob das jemals so kommt? Letztendlich geht es darum, wie wichtig die Nation für die Identität der Europäer ist. Auch das Deutschsein ist nicht so alt, und viele Menschen sagen heute noch, sie seien als erstes Berliner, Hamburger oder Rostocker, Westfalen, Franken oder Sachsen.

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