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Er zeigte sich unnachgiebig: Der britische Premier David Cameron setzte sich beim Gipfel vehement für Kürzungen im Haushalt ein. .

© Reuters

Europas Haushalt: Der Kraftakt von Brüssel

Der EU-Haushalt für die Jahre 2014 bis 2020 steht – nach zähen Debatten. Erstmals wird es Kürzungen geben. Das letzte Wort hat nun das Parlament. Warum war die Einigung so schwierig?

Im zweiten Anlauf haben sich die Staats- und Regierungschefs auf ein Gemeinschaftsbudget für 2014 bis 2020 verständigt. Das Europaparlament droht mit einem Veto, weil der Etat erstmals überhaupt gekürzt wurde. Mehr als 25 Stunden am Stück wurde am Donnerstag und Freitag in Brüssel verhandelt. Zwar wurde die große Runde aller Staats- und Regierungschefs mehrfach längere Zeit unterbrochen, doch kamen in den Pausen zahllose Vier-Augen-Gespräche und Dreier- oder Viererrunden zustande, die schließlich den Weg zur Einigung auf einen neuen mehrjährigen Finanzrahmen ebneten. EU-Diplomaten berichteten, vor allem zwischen dem Briten David Cameron und dem Franzosen Francois Hollande seien „mehrere Runden nötig gewesen, um Differenzen zu überbrücken“.

Welchen Gesamtrahmen hat der Haushalt?

Das Gesamtvolumen der sieben einzelnen Haushalte der Jahre 2014 bis 2020, das am Freitag festgezurrt wurde, darf 960 Milliarden Euro nicht übersteigen. Das entspricht genau einem Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung. Es gibt verschiedene Zahlen zur derzeit noch laufenden Finanzperiode von 2007 bis 2013: Sie wird von der EU-Kommission offiziell mit 975 Milliarden Euro beziffert. Allerdings sind im neuen Budgetrahmen auch bisher ausgelagerte Etatposten enthalten, weshalb die eigentliche Vergleichsgröße 994 Milliarden sein muss. So oder so steht unter dem Strich jedoch die erste Kürzung eines EU-Haushalts in der Geschichte der Gemeinschaft – obwohl sie erneut mehr Aufgaben übertragen bekommen hat.

Es gibt eine Besonderheit im EU-Haushalt, die sich die britische Regierung zunutze gemacht hat. Neben den „Verpflichtungen“, die die Obergrenze für Finanzzusagen darstellen, die die EU machen darf, gibt es die sogenannten „Zahlungen“, mit denen die Mitgliedstaaten die europäische Haushaltskasse füllen. Weil die tatsächlichen Rechnungen von den rund zwei Millionen EU-Projekten manchmal erst nach Jahren und manchmal gar nicht in Brüssel eintrudeln, müssen die nationalen Finanzminister einen Teil des Geldes auch erst in der Zukunft bereitstellen (siehe Kasten). Mehrere Parlamentsabgeordnete aus verschiedenen Fraktionen kritisierten die „Unterdeckung“. Der Lissabonvertrag, der im Dezember 2009 in Kraft getreten ist, sieht erstmals vor, dass das Europaparlament den Sieben-Jahres-Plänen zustimmen muss.

Wie soll das Parlament überzeugt werden?

Wegen der deutlichen Budgetkürzung, die sie selbst aktiv unterstützte, setzte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gegenzug aber dafür ein, im Gipfeltext ein „Angebot an das Parlament“ zu machen. So ist nun geplant, die bisher starren EU-Haushaltsregeln flexibler zu machen und damit eine langjährige Parlamentsforderung zu erfüllen. „Sonst hätten wir ja gar keine Chance, das Parlament zu überzeugen“, hieß es im Umfeld des Ratsvorsitzenden Herman Van Rompuy. Konkret können nicht verwendete Mittel aus dem Vorjahr künftig in das nächste Haushaltsjahr übertragen werden. Bisher werden nach jedem Jahresabschluss mehrere Milliarden Euro an die Mitgliedstaaten zurückerstattet. Das führte erst im Herbst 2012 zu Problemen. Es musste ein Nachtragshaushalt aufgestellt werden, da der Überschuss aus dem Vorjahr längst zurück in den Hauptstädten war.

Was passiert mit dem Agrarhaushalt?

Eine volle Flexibilisierung zwischen den verschiedenen Politikbereichen wird es auch in Zukunft nicht geben. Das würde dem Sinn des Finanzrahmens zuwiderlaufen, der ja gerade über die Etatzahlen politische Prioritäten festlegen soll. Eine solche strategische Verschiebung stellt auch der Gipfelbeschluss der Staats- und Regierungschefs dar. Da der Agrarhaushalt in absoluten Zahlen auf dem aktuellen Niveau eingefroren wird, sinkt sein Anteil am Gesamtetat bis Ende des Jahrzehnts auf 28 Prozent, wie EU-Diplomaten berichteten. In den siebziger Jahren hatte die Landwirtschaft noch drei Viertel des Budgets verzehrt. Um satte zehn Milliarden wird allerdings auch die modernere zweite Säule der EU-Agrarpolitik gekürzt. Für die ökologische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung ländlicher Räume stehen künftig nur noch 85 Milliarden Euro zur Verfügung. Dies hatte unter anderem die baden-württembergische und die rheinland-pfälzische Landesregierung in Gesprächen mit der Bundesregierung zu verhindern versucht.

Wird auch bei den Beamten gespart?

Wie soll Wachstum gefördert werden?

Es fließt mehr Geld in wachstumsfördernde Maßnahmen – auch wenn die Neuorientierung lange nicht so grundsätzlich ausfällt, wie das die EU-Kommission in ihrem ersten Budgetvorschlag im Sommer 2011 vorgesehen hatte. Einem deutlichen Anstieg um insgesamt 35 Milliarden Euro im Bereich zentral gesteuerter Wachstumsprogramme – dazu zählen das nächste EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 oder der neuen Infrastrukturfonds – steht ein Minus von 24 Milliarden Euro in den europäischen Strukturtöpfen gegenüber. Sie sollen in den insgesamt 271 Regionen das Wachstum ankurbeln.

Wie wird Jugendarbeitslosigkeit bekämpft?

Sechs Milliarden Euro stellt die EU über sieben Jahre zur Bekämpfung der grassierenden Jugendarbeitslosigkeit bereit. Das Geld steht für Regionen bereit, wo mehr als ein Viertel der jungen Menschen unter 25 Jahren arbeitslos sind. Kanzlerin Merkel nannte die betriebsnahe Ausbildung, Lohnkostenzuschüsse bei der Einstellung junger Menschen oder die finanzielle Unterstützung sogenannter Ich-AGs als förderungswürdige Modelle.

Welche Fonds wurden gekürzt?

Herzstück des ursprünglichen Kommissionsvorschlags war die „Connecting Europe Facility“. Die Staats- und Regierungschefs haben die Idee, grenzüberschreitende Netzverbindungen im Verkehrs-, Telekommunikations- und Energiesektor auch gemeinschaftlich zu finanzieren. Von Entwurf zu Entwurf wurden die Zahlen jedoch niedriger: Am besten kamen noch Schiene und Straße davon. 23,1 Milliarden stehen bereit. Allerdings hatte die Brüsseler Kommission einen Bedarf von 31,6 Milliarden Euro berechnet, weshalb für wichtige Projekte wie die neue Rheintalstrecke nun weniger Geld bereitstehe, wie es in der Behörde bereits heißt. Der Ausbau der Stromnetze – ein entscheidender Faktor, um das gewünschte Mehr an erneuerbarer Energie etwa aus Offshoreparks über Europa zu verteilen – erhält mit 5,1 Milliarden Euro nur etwas mehr als die Hälfte des errechneten Bedarfs. Noch schlechter als den deutschen Energiekommissar Günther Oettinger hat es hier seine niederländische Kollegin Neelie Kroes erwischt: Statt erhoffter 9,1 Milliarden Euro für Breitbandverkabelung oder andere IT-Projekte gibt es gerade einmal eine Milliarde Euro.

Wird auch bei den Beamten gespart?

Die Verwaltungskosten machen weiterhin gut sechs Prozent des Gesamtetats aus. In absoluten Zahlen steigt die Summe für Übersetzungen, Gebäude und die Beamtengehälter sogar um rund sechs Milliarden Euro auf insgesamt 61,6 Milliarden Euro. Es war allerdings schon vor dem Gipfel vereinbart, dass ein neues Beamtenstatut vereinbart wird, das einige teure Privilegien abschaffen soll. So ist geplant, die 40-Stunden-Woche einzuführen – zweieinhalb mehr als bisher – und auf diesem Wege fünf Prozent der insgesamt 45 000 Planstellen zu streichen. Offenbar als Reaktion auf die öffentliche Debatte über besonders hohe Beamtengehälter beschloss der Gipfel, den EU-Angestellten zwei Jahre lang eine Nullrunde zu verordnen.

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