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Donald Trump - Je größer die Furcht vor ihm, desto drastischer wird er dargestellt.

© Reuters

Europas Reaktionen auf Trump: Der Hurra-Europäismus ist eine Farce

Wertegemeinschaft? Pah! Gemeinsame Interessen? Gibt’s nicht mehr! Soll sich Europa wegen Donald Trump von Amerika abwenden? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Muss sich Europa von Amerika verabschieden? Seitdem mit Donald Trump ein rechtspopulistischer Demagoge, Rassist und Sexist zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, wird diese Frage immer lauter gestellt. Wertegemeinschaft? Pah! Gemeinsame Interessen? Gibt’s nicht mehr! Das Wahlergebnis belege die Degeneration der amerikanischen Demokratie, heißt es, ihre sich seit Jahren vollziehende „Selbstvergiftung“ sei seit der „Machtübernahme“ (sic) von Trump nicht mehr zu übersehen. So steht es in der Wochenzeitung „Die Zeit“. In demselben Beitrag ventilieren die Autoren die Forderung, „dass Europa sich von einer Macht, die von einem Donald Trump geführt wird, keinesfalls führen lassen kann“.

Amerikas Demokratie ist in der Krise. Das berühmte System der „checks and balances“, das Kritikern so gern als Beruhigungspille verordnet wird, funktioniert eher schlecht als recht. Als da sind: ein polarisierter, sich selbst blockierender Kongress, nach Parteienproporz zugeschnittene Wahlkreise, sündhaft teure Wahlkämpfe, Präsidenten, die ihren Einfluss per Dekret ausbauen, ein politisierter Kampf um die Besetzung des Obersten Gerichts. „Die in Washington“ – das ist zum Synonym geworden für Kungelei, Korruption, Ineffizienz, Machtspiele. Einer wie Trump, der verspricht, den Augiasstall kräftig auszumisten, findet Gehör.

Sich deshalb aber von Amerika abzuwenden, wäre aus vielen Gründen falsch. Zum einen ist Trump nicht Amerika. Es gibt auch das andere Amerika. Hillary Clinton hat zwei Millionen Stimmen mehr bekommen als der Immobilien-Unternehmer. Und bei den Republikanern ist längst noch nicht klar, wie treu sie ihrem Präsidenten dienen, der ja oft auch gegen sie polemisiert hat. Das Urteil über ein Land und dessen Werte abhängig zu machen von dem Ausgang einer Präsidentenwahl, ist eine Form von Kollektivhaftung. Die wiederum setzt sich dem Verdacht aus, auch Ressentiments transportieren zu wollen. „Antiamerikanismus beruht auf der Idee, dass irgendetwas, das mit den Vereinigten Staaten verbunden ist – etwas im Kern der amerikanischen Lebensweise –, zutiefst falsch ist und den Rest der Welt bedroht.“ Diese klassische Definition stammt vom Politikwissenschaftler James W. Ceaser.

Nur durch Tipps der NSA gelang es oft, Terroranschläge in Europa zu vereiteln

Zum anderen gründet sich das transatlantische Bündnis auf mehr als jene Wertegemeinschaft, über die sich in der Tat lange streiten lässt. Allerdings ist die Beziehung asymmetrisch. Wenn es Amerika und die Nato nicht gäbe, könnte etwa Wladimir Putin neben der Krim und der Ostukraine bequem auch das Baltikum, Polen und Deutschland besetzen. Denn Europa ist militärisch nicht in der Lage, seine Souveränität ohne Amerika zu sichern. Und andersherum? Ist Amerika auf Europas Beistand angewiesen? Keineswegs. Ebenso verhält es sich auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit. Nur durch Tipps der NSA gelang es in vielen Fällen, Terroranschläge in Europa zu vereiteln.

Diese einseitige Abhängigkeit schmerzt jetzt vor allem die Europäer, die wegen der Trump-Wahl möglichst ausschließlich ihrem moralischen Gewissen folgen und auf Abstand zu Amerika gehen wollen. Manche von ihnen reden sich daher Europas Stärke schön.

Der Hurra-Europäismus aber wird zunehmend zur Farce. Die Europäische Union ist seit der Flüchtlingskrise gespalten, die Briten votierten für den Brexit, die griechischen Schulden steigen weiter, Italien driftet ab, in Österreich, den Niederlanden und Frankreich könnten Rechtspopulisten bald ihren Siegeszug fortsetzen. Das alles stützt nicht gerade ein europäisches Selbstbewusstsein, das sich der amerikanischen Malaise überlegen fühlen darf.

Europa muss sich weder verstecken noch unterwerfen. Es darf stolz sein auf seinen Multilateralismus, die Achtung des Völkerrechts, den hohen Rang von Umwelt- und Klimaschutz, den Vorrang ziviler vor militärischer Konfliktlösung. Das entbindet Europäer aber nicht vom Gebot des Realismus. Ein zentrales Ziel russischer Politik ist es, den Westen zu spalten, einen Keil zu treiben zwischen Amerika und Europa. Moskau hat durch Cyberattacken und Meinungsmanipulationen sozialer Dienste massiv Einfluss genommen auf den US-Wahlkampf. Der BND-Chef warnt bereits vor ähnlichen Manövern in der kommenden Bundestagswahl.

Wer in dieser Situation transatlantische Dissonanzen zu unüberbrückbaren Wesensunterschieden aufpumpt, befördert die von Putin erhoffte Entfremdung des Westens von sich selbst. Ihr erstes Opfer steht fest. Es wäre Europa.

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