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Einzelkämpfer: Matteo Renzi hat den Wahlkampf seiner Partei fast allein bestritten.

© dpa

Europawahl 2014: Hoffnung statt Wut

Italiens Premier Renzi sieht in seinem Wahlsieg die Bestätigung für seine nationalen Reformpläne – der Widerstand im Parlament dürfte gebrochen sein.

Dieser Montag – das hätte der Tag des Matteo Renzi werden können. Die Europawahl hat er immer schon als seine eigene betrachtet. Und er hat einen Sieg errungen wie keiner in Italien seit den Christdemokraten vor mehr als fünfzig Jahren. Mehr als 40 Prozent hat Renzi geschafft – ein Ergebnis, von dem die Linke in seinem Land bisher allenfalls träumen konnte. In Mailand schießen die Börsenkurse nach oben.

Renzi gibt sich demütig

Doch als Renzi nach langer Nacht, mit spürbar reduzierter Sprechgeschwindigkeit, Montagmittag vor die Medien tritt, da will er so gar nicht den Sieger geben. Da verbreitet er keinen Hauch von Triumph: „Natürlich“, sagt Renzi, „bin ich glücklich und bewegt. Aber das ist nicht der Moment, den Sieg zu bejubeln. Italien hat die Hoffnung gewählt, nicht die Wut. Die Bürger haben uns einen ganz klaren Auftrag gegeben, das Land und Europa zu verändern. Dem stellen wir uns in demütiger Bescheidenheit und ruhig im Ton. Wir haben kein Alibi mehr; wir dürfen bei den Reformen jetzt keine Minute verlieren.“

Herausforderer Grillo ist klar geschlagen

Renzi sagt zwar auch, die Wahl sei „keine Abstimmung über meine Person“ gewesen – aber in Italien wissen alle, dass das nicht stimmt. Den entscheidenden Wahlkampf hat Renzi nahezu allein bestritten, und Meinungsforscher sagen, zu mindestens 80 Prozent gehe der Sieg der Sozialdemokraten auf sein Konto. Aber was keine Umfrage vorhergesehen hatte, war das Ausmaß, in dem Renzi schließlich seine Gegner distanziert hat – allen voran Beppe Grillo, den pöbelnden Radikalpopulisten. Einzelne Studien hatten es vor der Wahl gar für möglich gehalten, der Euro- und Europa-Gegner Grillo könnte, getragen von der Wut der Italiener über die aussichtslos fortdauernde Krise, den Siegeszug fortsetzen, der seine „Fünf-Sterne-Bewegung“ bei den Parlamentswahlen im Februar 2013 aus dem Stand zur rechnerisch stärksten Kraft im Land machte. Doch am Ende musste sich Grillo mit halb so viel Stimmen zufriedengeben wie der von ihm konsequent als „kleiner Schwachkopf“ diffamierte Regierungschef. Und mehr als eine Million Wähler sind – von Grillo enttäuscht – zu den Sozialdemokraten zurückgewandert. Darunter seien viele junge Leute, sagen die Wahlforscher, und das ist für Grillo besonders peinlich.

Der Süden blieb Grillo treu

Allerdings zeigt das Wahlergebnis wieder einmal große regionale Unterschiede. Während der industrialisierte, gutbürgerliche Norden den Chef der Sozialdemokraten auf Händen trägt und dafür den Populisten tief fallen lässt, behauptet Grillo sich mit seinem radikalen Protestpotenzial im Süden und, laut Wahlanalysen, bei den unteren Schichten, den Arbeitslosen. In diesen geografischen und sozialen Milieus ist Grillo noch immer genauso stark wie bei der Parlamentswahl vor einem Jahr. Grillo sagt: „Die Zeit arbeitet für uns.“

Renzi will jetzt Reformen durchsetzen

Matteo Renzi aber kann jetzt viel stärker auftreten, als er es in den ersten drei Monaten seiner Amtszeit konnte, die stürmisch begann und sich dann im Unterholz des Parteienwiderstands verhedderte. „Die Botschaft dieser Wahl“, sagt Renzi, „müsste in den hintersten Winkeln des Parlaments angekommen sein.“ Das war eine Warnung an die eigene Partei, in der ihm weite Teile vor allem der Abgeordnetenschaft noch nicht verziehen haben, dass er Enrico Letta im Februar aus dem Amt putschte.

Auch in Europa will Italiens Premier etwas verändern

Stärke kann und will Renzi aber auch in Europa demonstrieren: Seine Abgeordneten werden, noch vor der deutschen SPD, die stärkste Gruppe in der sozialdemokratischen Fraktion des Europarlaments stellen. Gleich hinter Angela Merkels CDU-Riege bilden sie die zweitgrößte Gruppe überhaupt im EU-Parlament. Angesichts der Schwäche der französischen Regierung erwarten viele Kommentatoren, dass sich die Gewichte in Europa merklich verschieben, dass Renzi gar der Hauptansprechpartner wird für die deutsche Bundeskanzlerin. Er selbst sagt, es werde „keine deutsch-italienische Achse an Frankreich vorbei“ geben: „Entweder wir agieren in Europa alle gemeinsam, oder es rettet sich keiner.“

Im Juli übernimmt Italien die EU-Ratspräsidentschaft

Renzi, das hat er im März bei einer Parlamentsrede deutlich gemacht, gehört zu den überzeugtesten Europäern auf dem alten Kontinent. „Italiens Problem ist nicht Europa“, richtete er allen Skeptikern aus: „Italien muss sich zuerst selbst reformieren“. Dennoch müsse sich auch Europa verändern, sagte Renzi im Wahlkampf. Die Union solle sich weniger an formalen Regeln orientieren und keine von oben verordnete Austeritätspolitik betreiben, sondern „mehr an der Rettung der Menschen“ arbeiten. Die Gelegenheit zur Akzentsetzung bekommt er schon im Juli, wenn Italien die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.

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