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Europawahl: Blick in die Leere

Keine Themen, wenig Wähler – für die anstehende Europawahl müssen die Unionspolitiker allen Optimismus zusammennehmen.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Reepsholt hat 800 Einwohner und nach einer lokalen Fehde im Jahr 1474 nur noch einen halben Kirchturm, aber seit kurzem weist das Örtchen im Ostfriesischen eine zweite Attraktion auf: An der Durchgangsstraße prangt ein riesiges Europawahlplakat der CDU. Das Plakat zeigt Blaumänner im Containerhafen und die inhaltsarme Aufschrift „Für den Weg aus der Krise – Wir in Europa“. Seine eigentliche Botschaft besteht darin, dass es überhaupt in der ländlichen Idylle rumsteht. Es verrät etwas von der Sorge, die sich die CDU über den ersten Urnengang des Wahljahrs macht.

Dass der 7. Juni für CDU und CSU keine richtige Freude wird, ist seit langem klar. Bei der letzten Wahl 2004 trieb der Unmut über Rot-Grün dem Höhepunkt zu, was der SPD einen historischen Tiefstand von 21,5 Prozent und der Union – trotz Verlusten – bequeme 44,5 Prozent bescherte. Was damals CDU und CSU freute, schadet ihnen jetzt: Die Balkendiagramme mit Gewinnen und Verlusten werden fast automatisch für die SPD nach oben und für die Union nach unten gehen. Doch es gibt einige in der Union, die sich sorgen, dass es schlimmer kommen könnte. „Wenn wir Pech haben“, sagt ein Landesminister, „laden unsere Leute den Frust über die große Koalition bei Europa ab.“

Der Gedanke liegt so fern nicht. Das Parlament in Straßburg ist den Ruf einer einflusslosen Verwahranstalt für unbrauchbar gewordene Politiker nie losgeworden. Der Ausgang einer Europawahl gilt den meisten Bürgern als folgenlos. Genau deshalb wird sie gerne zum Protest genutzt. Die SPD hat das 2004 erlebt, als ihre Anhänger zu Hause blieben. Die Union hat bisher immer darauf bauen können, dass ihre Wähler sich staatstragender verhalten und auch dann ihre Stimme abgeben, wenn sie am Sinn des Vorgangs leise zweifeln. Aber was, wenn diesmal die Zweifel am Sinn der großen Koalition noch größer ausfallen?

Dazu kommt, dass die Wahl kein Thema hat. 2004 kam zum Anti-Schröder-Impuls der Streit über die Aufnahme der Türkei in die EU. „Das ist eine Frage, die lässt sich sehr leicht auf ein Ja oder Nein reduzieren“, sagt ein CDU-Spitzenmann aus dem Bundestag. Diesmal sei hingegen kaum zu vermitteln, warum einer die eigene Partei wählen müsse. „Die Wahlbeteiligung wird nicht groß sein“, sagt der Mann voraus – noch niedriger als bei Europawahlen ohnehin üblich.

Dass dies indirekt der CSU helfen könnte, ist ein schwacher Trost. Die Bayern müssen bundesweit gerechnete fünf Prozent schaffen. Eine Wiederholung des Landtagswahlergebnisses, gekoppelt mit starker Wahlbeteiligung im Rest der Republik, könnte dieses Ziel gefährden. Aber seit das NRW-Verfassungsgericht verboten hat, die mobilisierende Kommunalwahl im bevölkerungsreichsten Bundesland ebenfalls auf den 7. Juni zu legen, wirken CSU-Europakandidaten entspannt. Dass die Bayern ihre Pfingstferien so terminiert haben, dass der Wahltag mittendrin liegt, gilt jetzt auch bloß noch als kleinere Panne. Eine pünktlich zum Kleinen Europaparteitag am Samstag in Szene gesetzte Versöhnung der Altvorderen Theo Waigel und Edmund Stoiber sowie eine „Woche der Briefwahl“ sollen die Gefahren endgültig bannen.

Dass über die Fünf-Prozent-Gefahr überhaupt geredet wird, könnte sich sogar als Vorteil erweisen: Es senkt die Ansprüche an das erste CSU-Ergebnis in der neuen Ära Horst Seehofer. Für die CDU hingegen müsste ein schlechtes Abschneiden wie ein Menetekel für die Bundestagswahl wirken.

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