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Bischöfin Maria Jepsen bei einem Besuch in der Centrum-Moschee in Hamburg im vergangenen Jahr.

© dpa

Evangelische Kirche: Rücktritt einer Bischöfin: Ende der Stille

Im nordelbischen Ahrensburg wurde sexueller Missbrauch lange beschwiegen – jetzt erklärte Bischöfin Maria Jepsen ihren Rücktritt. Sie war wegen Vorwürfen gegen einen Pastor in die Kritik geraten.

Vor vier Tagen hatte Bischöfin Maria Jepsen erklärt, sie habe ein reines Gewissen. Am Freitag ist sie zurückgetreten. Zwischen diesen Tagen lag eine neue eidesstattliche Erklärung. Die mutmaßlichen Opfer des früheren Ahrensburger Pastors K. erhoben darin neue Anschuldigungen. Sie gehen inzwischen von mehr als 50 Missbrauchsfällen durch zwei Pastoren der Nordelbischen Kirche aus.

Jepsens Pressekonferenz am Freitag dauerte keine 15 Minuten. Zwei Erklärungen wurden verlesen und anschließend in Schriftform verteilt, für Fragen stand weder die Bischöfin noch Bischof Gerhard Ulrich zur Verfügung, der Vorsitzende der Nordelbischen Kirchenleitung. Mit dem gewohnten Lächeln ertrug die 65-Jährige das Blitzlichtgewitter der Pressefotografen. Dann erinnerte sie sich an einen Psalm aus Kindertagen, mit dem sie ihr Amt im April 1992 angetreten hatte: „Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Geschwister einträchtig beieinander wohnen“. Derzeit, ergänzte sie, sei gar nichts in ihrem Amt fein und lieblich: „Meine Glaubwürdigkeit wird angezweifelt.“ Mit ihrer Rücktrittserklärung verknüpfte sie die Hoffnung, „dass die Missbrauchsfälle in Ahrensburg und anderswo zügig aufgeklärt werden und die Wahrheit ans Licht kommt.“

Das ist lange nicht geschehen. Dass Pfarrer K. aus Ahrensburg bei Hamburg in den 70er und 80er Jahre Jugendliche missbrauchte, das wussten etliche. Viele ahnten es. Doch keiner zog die Konsequenzen und zeigte den Mann an. Im Zeltlager 1982 zum Beispiel ließ Pfarrer K. den 14-jährigen Sebastian Kohn bei sich schlafen. Das Zelt des Jungen hatte dem Sturm nicht standgehalten. In dieser Nacht habe sich der Pfarrer an ihm vergangen, berichtet Sebastian Kohn. Und in den Jahren danach viele weitere Male. Denn 1985 heiratete der Pfarrer Kohns Mutter und wurde zum Stiefvater der fünf Söhne. An den drei Söhnen, die noch zu Hause wohnten, vergriff er sich danach – bis sich die Mutter 1989 scheiden ließ. Zwei der drei als Teenager missbrauchten Männer haben sich später das Leben genommen, der dritte Bruder hat einen Selbstmordversuch überlebt.

Sie waren nicht die einzigen Opfer des Pfarrers. Ende der 70er Jahre hatte er ein Verhältnis mit einer minderjährigen Frau, die ihn deswegen 1999 bei der für Ahrensburg zuständigen Pröpstin Heide Emse anzeigte. Emse stellte Pfarrer K. zur Rede. Ging es dabei nur um das Verhältnis des Pfarrers zu dem 16-jährigen Mädchen oder auch um sexuelle Übergriffe auf andere Jugendliche? Das ist nicht klar. Pröpstin Emse hat keine Protokolle über die Gespräche angefertigt. Fest steht: Kurz danach wurde K. versetzt. Nach 26 Jahren in Ahrensburg kam er als Gefängnispfarrer in die Jugendstrafanstalt Schleswig. Niemand wurde über die wahren Gründe für die Versetzung informiert. Er wolle seine letzten Berufsjahre dort verbringen, wo er noch etwas bewirken könne, sagte er der Lokalzeitung. Die Arbeit mit Kindern sei ihm immer sehr wichtig gewesen. Ein Jahr später ging K. in den Ruhestand, durfte aber noch drei Jahre weiter Religion am Gymnasium unterrichten. Bis heute lebt er in Ahrensburg.

Im März 2010 wandte sich die Frau, die ihn 1999 bei Emse angezeigt hatte, direkt an die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen. Jetzt wurde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, ein kirchliches Verfahren eingeleitet. Dem Kirchenamt liegen fünf Beschuldigungen von Männern und Frauen aus früheren Jugendgruppen vor. Die Brüder Kohn und weitere Betroffene haben den Verein „Missbrauch in Ahrensburg“ gegründet. „Wir kennen weitere 20 Opfer persönlich“, sagt Stephan Kohn. Die meisten scheuten sich allerdings, Anzeige zu erstatten. Die bekannt gewordenen Vergehen sind verjährt.

Wer im Kirchenamt was wusste, ist offenbar schwer nachzuvollziehen. Pröpstin Emse hat angegeben, sie habe 1999 den Kirchenvorstand, das Kirchenamt und Bischöfin Jepsen informiert. Doch worüber? Dass Pfarrer K. ein Verhältnis mit einer jungen Frau hat? Dass er Jugendliche missbraucht? Man habe in den Akten nichts gefunden, sagt Kirchensprecher Thomas Kärst. Von denen, die Emse damals eingeweiht haben will, könne sich keiner an das Stichwort „sexueller Missbrauch“ erinnern. Bischöfin Jepsen versicherte noch Anfang der Woche, sie sei nur über eine „Affäre mit einer jungen Frau“ informiert worden. Bei „Missbrauch“ wäre sie „unruhig“ geworden.

Als am gestrigen Freitag eine Zeugin in einer eidesstattlichen Erklärung versicherte, dass auch sie Jepsen persönlich 1999 über Vergehen des Pfarrers informiert habe, stärkte die Nordelbische Kirchenleitung am Vormittag Jepsen den Rücken: „Die Bischöfin hat damals getan, was ihr möglich war, und die anonymen Anschuldigungen dem Personaldezernat gemeldet“. Erste Ermittlungsergebnisse sollen Ende Juli vorliegen, sagt Bischof Gerhard Ulrich, der Vorsitzende der Kirchenleitung. „Es steht außer Zweifel, dass damals Fehler gemacht worden sind.“

Der Opferverein fordert zwar, dass die Täter und die „Vertuscher“ zur Rechenschaft gezogen werden, wie es in einem Brief an Jepsen und den EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider heißt. Mit Jepsens Rücktritt treffe es nun aber die Falsche, sagt Stephan Kohn. Jepsen sei 1999 nicht in die Aufklärung des Fall involviert gewesen, weil das gar nicht zu ihren Aufgaben gehöre. „Entscheidend ist, dass die Pfarrer K. und H. und Pröpstin Emse zur Rechenschaft gezogen werden. Jepsens Rücktritt könne „eine Märtyrerin“ schaffen, was die Aufklärung eher behindere.

Jepsens Amtsgeschäfte werden nun vom Harburger Propst Jürgen Bollmann übernommen. Nächste Woche will sich die Kirchenleitung über die Nachfolge beraten und bis spätestens Anfang nächsten Jahres entscheiden. Jepsens Amtszeit hätte noch bis 2012 gedauert. Als mögliche Nachfolgerin wird die Hamburger Hauptpastorin Ulrike Murmann genannt.

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