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Ex-Außenminister Rotfeld: "Viele Polen befürchten den Verlust ihrer Identität"

Ex-Außenminister Rotfeld über vier Jahre EU-Mitgliedschaft, die Kaczynskis und Europas Arbeitsmarkt.

Vor vier Jahren, am 1. Mai 2004, trat Polen der EU bei. Hat Polen inzwischen seinen Platz in der Gemeinschaft gefunden?

Aber natürlich! Die Mitgliedschaft hat die Erwartungen von Millionen Polen erfüllt. Am 1. Mai 2004 erreichte ein langer historischer Prozess sein Ende. Die Polen haben damals im Grunde „Ja“ zur westlichen Zivilisation und zum Regierungsstil des Westens gesagt.

Wie bewerten Sie die bisherigen vier Jahre der polnischen EU-Mitgliedschaft?

Heute kann sich Polen mit Portugal und Spanien vergleichen. Für uns sind aber nicht die EU-Zuschüsse das Entscheidende. Viel wichtiger ist, dass wir uns jetzt an den demokratischen Standards der EU orientieren.

Was ist dann aber von dem Konfrontationskurs der Kaczynski-Zwillinge zu halten, der die EU zwei Jahre lang in Unruhe versetzt hat?

Wenn sich unsere inneren Konflikte auf die europäische Ebene auswirken, dann zeigt das doch nur, dass Polen in der neuen Realität der EU angekommen ist. Jedes EU-Land hat seine inneren Probleme. Was soll man über Belgien sagen, das neun Monate brauchte, um eine Regierung zu bilden? In einer Hinsicht müssen wir den Kaczynski-Brüdern sogar dankbar sein – dank ihrer Politik sind die euroskeptischen Parteien aus der politischen Landschaft Polens verschwunden.

Die Euroskepsis ist in der polnischen Gesellschaft aber immer noch verbreitet. Zwar lässt sich aus Umfragen eine große Unterstützung für die EU ablesen. Aber gleichzeitig findet auch der Sender „Radio Maryja“ viele Zuhörer. Dort wird auch regelmäßig die Angst vor der EU geschürt.

Viele Polen befürchten einen Verlust ihrer Identität. Das Gleiche galt aber auch für die Franzosen und Niederländer, die vor drei Jahren die EU-Verfassung ablehnten. Es gibt Hörer von „Radio Maryja“, die Angst vor der Europäischen Union haben. Die jüngere Generation in Polen betrachtet aber die EU-Mitgliedschaft als eine Chance. Und diese Chance will sie auch nutzen.

Ein großer Teil der jungen Leute sucht diese Chance außerhalb Polens. Deutschland schottet seinen Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer aus Osteuropa bislang aber ab. Zu Recht?

Die Länder, die ihre Arbeitsmärkte für die Osteuropäer öffneten, haben keinen Grund zum Stöhnen. Für sie hat sich die Strategie der Offenheit gelohnt. Die Deutschen behandeln Polen auf zweierlei Art: Die Elite ist gegenüber Polen sehr enthusiastisch. In der breiteren Gesellschaft gibt es aber weiterhin negative Stereotype, die über Generationen hinweg entstanden sind. Die deutsche Regierung hat auf diese Vorurteile reagiert, als sie sich zur Einschränkung der Arbeitnehmer-Freizügigkeit entschied.

Das Gespräch führte Malgorzata Borkowska.

Adam Rotfeld (70)

war von Januar bis Oktober 2005 Außenminister in Polen. Zuvor leitete er unter anderem das Internationale Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI).

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