zum Hauptinhalt

Ex-Sowjet-Kommandeur: "Ihr macht die gleichen Fehler wie wir"

Ruslan Auschew war Kommandeur bei den Sowjettruppen in Afghanistan. Mit dem Tagesspiegel spricht er über Kriege am Hindukusch, die Erfolgsaussichten der US- und Nato-Truppen, den Drogenhandel und die Taliban.

Ruslan Sultanowitsch, war der Afghanistankrieg der Anfang vom Ende der Sowjetunion?

Ich glaube das nicht. Es waren sowohl innenpolitische, internationale und wirtschaftliche Probleme an denen die Sowjetunion zugrunde ging. Dennoch lag der Afghanistankrieg wie eine Riesenlast auf den Schultern des Landes.

Auch die Nato kämpft schon das neunte Jahr in Afghanistan. Haben der Westen und vor allem dessen Führungsmacht USA aus den Fehlern gelernt, die die Sowjetunion damals gemacht hat?

Die Nato macht viele Fehler in Afghanistan und oft die gleichen wie wir.

Zum Beispiel?

Die Afghanen können es nicht leiden, wenn man dort mit Waffen aufkreuzt. Das hat die Geschichte schon des Öfteren bewiesen. Gescheitert sind wir auch, weil wir versucht haben, den Afghanen unsere Lebensweise und unseren Wertekanon aufzuzwingen. Wir haben dort beispielsweise eine Pionierorganisation oder einen kommunistischen Jugendverband gegründet und auch eine Partei nach sowjetischem Vorbild aufgebaut. Außerdem haben wir ihnen die sowjetische Lebensweise aufs Auge gedrückt und sind dabei mit denselben Losungen vorgegangen wie bei uns: Trennung von Staat und Religion. Obwohl die Afghanen ein tief religiöses Volk sind. Der Westen macht ähnliche Fehler. Auch er nimmt den Afghanen die Möglichkeit, ihren Entwicklungsweg selbst zu bestimmen.

Was meinen Sie damit?

Ich glaube, es sind zu viele westliche Soldaten in Afghanistan. Rund 100 000.

Es werden bald noch mehr sein. Deutschland folgt Barack Obamas neuer Afghanistanstrategie und will mehr Truppen entsenden, sich gleichzeitig sich auch noch stärker beim Wiederaufbau engagieren, damit Stabilität schaffen und die Afghanen befähigen, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. Für wie erfolgreich halten Sie diese Strategie?

Wir hatten auf dem Höhepunkt des Krieges rund 120 000 Mann dort stationiert. Und auch wir haben immer wieder aufgestockt in der Hoffnung auf eine Trendwende. Die internationale Gemeinschaft sollte sich daher darauf beschränken, Afghanistan zu helfen, eigene staatliche Strukturen aufzuhauen und die Wirtschaft ankurbeln. Sie darf Afghanistan aber nicht Strukturen oder eine Verfassung aufs Auge drücken, die sich an westlichen Werten orientieren. Wenn die Afghanen meinen, ihre Loja Dschirga (die Ratsversammlung der Stammesführer – d. Red.) sei besser als ein Parlament, dann ist das ihre Sache. Genau wie die Entscheidung darüber, ob sie nach der Scharia oder nach westlichem bürgerlichem Recht leben wollen. Auch braucht die internationale Gemeinschaft nicht für den Schutz Afghanistans zu sorgen, denn es wird von keinem seiner Nachbarn bedroht.

Und was ist mit der Bedrohung durch Terrorismus und Terroristen?

Terrorismusbekämpfung ist ein sehr dehnbarer Begriff, der sich mit beliebigen Inhalten füllen lässt. Man hat die Taliban zu Terroristen erklärt. Aber die sind ein Teil der Bevölkerung. Jener Teil der Bevölkerung, der radikale Positionen einnimmt und will, dass Afghanistan nach den Gesetzen der Scharia lebt. Und Terrorismus muss sowieso mit anderen Mitteln bekämpft werden. Mit Spezialeinheiten. verdeckten Ermittlungen und operativer Arbeit. Nicht mit Waffen. Der Westen aber macht genau das und setzt dabei auch noch die Luftwaffe in großem Umfang ein. Darunter leidet die Zivilbevölkerung, die moralisch daher schon auf Seiten der Taliban steht.

Dabei ließ sich bei Beginn der Anti-Terror-Operation im Herbst 2001 für den Westen zunächst alles gut an. Die Nato-Einheiten wurden als Befreier und Ordnungsfaktor begrüßt. So wie 1979 die Soldaten mit dem roten Stern, die Afghanistan nach dem Sturz des Königs 1973 wieder stabil machten. Wann kam die Wende?

Wir hatten traditionell die besten Beziehungen zu Afghanistan und dort fast die gesamte Industrie und die Infrastruktur errichtet. Dennoch stand das ganze Volk gegen uns auf, so wie jetzt gegen die Nato als wir begannen, uns in die afghanische Innenpolitik einzumischen. Denn dadurch waren wir auch gezwungen, militärisch bei den Auseinandersetzungen Partei zu ergreifen.

Sie meinen die Fehden der Stammesgruppen?

Ja. Denn bereits damals herrschte in Afghanistan Bürgerkrieg.

Es gibt Leute aus der damaligen KGB-Führung, die behaupten, sie hätten Breschnew von der Notwendigkeit des Einmarsches vor allem mit dem Argument überzeugt, man müsse den USA zuvorkommen.

Warum sollten die USA, die 1979 noch schwer an Vietnam trugen, sich auf ein neues Abenteuer einlassen? Ich glaube eher an die Version eines westlichen Dokumentarfilms, den ich später gesehen habe. Demzufolge wollte die CIA der Sowjetunion ein Vietnam aufzwingen und uns damit fertigmachen. Die CIA hat daher bewusst gestreut, die USA planten einen Einmarsch. Und ein paar unserer Natschalniks (russ. für Chefs - d. Red.) sind ihnen auf den Leim gegangen. Das war ein Fehler, und der Einmarsch war schon deshalb unnötig, weil Afghanistan wirtschaftlich völlig von uns abhing.

Warum kommen dann die Sowjets besser weg, wenn die Afghanen heute Vergleiche zur Nato ziehen?

Wir waren aufrichtig überzeugt, dass wir den Afghanen helfen.

Das ist der Westen auch.

Ihr kämpft gegen die Taliban und damit gegen einen Teil des afghanischen Volkes.

Und die Sowjets haben gegen die Mudschaheddin gekämpft. Einen Teil des afghanischen Volkes.

Von unserem Kontingent haben höchstens 15 Prozent gekämpft. 85 Prozent waren für den Schutz von Betrieben und Infrastruktur zuständig. Wir hatten uns auch nicht das Ziel gestellt zu siegen, sondern das gesellschaftliche Leben aufrechtzuerhalten.

Auch der Westen setzt seit Jahren auf militärisch begleitete Wiederaufbauteams. Ist diese Strategie falsch?

Hauptziel der Anti-Terror-Operation ist doch Stabilität. Oder? Deshalb muss man sich mit den Taliban einigen.

Zu welchen Bedingungen?

Das wird man bei Verhandlungen sehen, die Taliban werden sagen, was sie wollen. Aber nur so wird aus Afghanistan ein Staat. Gegenwärtig ist es ein von internationalen Kräften verwaltetes Treuhandgebiet. Die internationale Gemeinschaft muss die Afghanen zur nationalen Aussöhnung zwingen.

Sind Stabilität und Demokratie derzeit überhaupt im Doppelpack zu haben?

Das kommt darauf an, was man unter Demokratie versteht. Jedes Volk hat seine historisch gewachsenen Formen der Demokratie. Lasst den Afghanen die ihre! Und jeden Afghanen selbst wählen, ob er ein islamisches oder ein bürgerliches Gericht anruft. Demokratie ist, wenn er die Möglichkeit hat, zwischen beiden zu wählen.

Der Westen soll das dort gewachsene Demokratieverständnis akzeptieren?

Und die Kultur der Afghanen, ihre Religion, ihr Gewohnheitsrecht. Sehen Sie, ich bin Ingusche. Und die Gesetze meines Volkes verbieten mir, mich mit meinen Schwiegereltern zu treffen. Ich darf auch nicht neben meinem Vater sitzen, ich muss in seiner Anwesenheit stehen. Dabei bin ich ein sehr weltlicher (laizistischer) Mensch. Wie wir damit klarkommen, ist unsere Sache. Aufzwingen lassen wir uns nichts.

Was würde sich bei einer engeren Kooperation von Russland und Nato für Afghanistan und die Afghanen ändern?

Russland und die zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken haben ein großes Einflusspotenzial. Viele Afghanen haben ihre Ausbildung in der Sowjetunion bekommen viele sprechen Russisch.

Auch deshalb hat Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bei seinem Antrittsbesuch in Moskau Russland förmlich bekniet, sich aktiver in die Anti-Terror-Operation einzubringen. Wie könnte eine derartige Kooperation aussehen? Wir meinen dabei mehr als nur eine Verbesserung des Transits für den Nachschub.

Wenn der Transit schlecht läuft, muss man verhandeln.

Können Sie sich eine direkte Beteiligung Russlands an der Anti-Terror-Operation vorstellen?

Die wird es nicht geben. Das hat Patruschew (Nikolaj, Koordinator des Nationalen Sicherheitsrates – d. Red.) gerade erst erneut gesagt. Keine politische Kraft und keine Mutter wird der Entsendung russischer Truppen zustimmen.

Aber gemeinsame Operationen zur Drogenbekämpfung, bei denen die Nato-Truppen in Afghanistan und die GUS-Truppen auf dem Gebiet der Ex-UdSSR bleiben, wären drin?

Wenn ich Russlands Präsident wäre, würde ich darauf sogar bestehen.

Viktor Iwanow, der Chef der russischen Drogenbehörde hat sich dafür ausgesprochen, das Afghanistanmandat der UN um Drogenbekämpfung zu erweitern.

Prima, bin ich sehr dafür. Drogen sind eine der größten Sicherheitsbedrohungen für Russland, 90 Prozent davon kommen aus Afghanistan.

Was wäre denn der Preis, den Russland für eine engere Kooperation in Afghanistan von der Nato fordern könnte?

Dass muss in Verhandlungen geklärt werden. Wir und die Nato haben zu vielen Problemen unterschiedliche Standpunkte. Aber Drogen sind ein Übel, das uns alle bedroht. Es ist deshalb klar, dass wir auf mehr Engagement bei der Drogenbekämpfung bestehen.

Es gibt Schindlers Liste und es gibt Auschews Liste. Sie enthält die Namen jener sowjetischen Afghanistankämpfer, die bis heute als vermisst gelten. Sie und Ihre „Kampfbruderschaft“ – eine der größten Organisationen der Afghanistanveteranen – forschen seit Jahren nach dem Schicksal ihrer Kameraden. Was haben Sie bisher erreicht?

Auf der Liste standen ursprünglich 270 Namen. Seit ich das Komitee leite, haben wir 22 Vermisste ausfindig gemacht. Wir fahren dazu jedes Jahr zwei, drei Mal nach Afghanistan und haben 2009 die sterblichen Überreste weiterer siebzehn Gefallener nach Russland überführt. Derzeit lassen wir sie mit Hilfe der Genanalyse identifizieren und hoffen, dass wir die Leichen in den nächsten Monaten den Angehörigen übergeben können. Wir haben sogar ein paar überlebende Kriegsgefangene gefunden und deren Schicksal ebenfalls aufgeklärt. Einige davon sind in Afghanistan geblieben, haben dort Familien gegründet und den islamischen Glauben angenommen.

Das Gespräch führte Elke Windisch.

Ruslan Auschew (55) war Generalleutnant der Roten Armee und trägt den Orden „Held der Sowjetunion“. Von 1993 bis 2001 war er Präsident der Kaukaususrepublik Inguschetien.

Zur Startseite