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Politik: Exklusiv-Interview mit Gaddafi: "Wer den Wandel nicht akzeptiert, ist ein Reaktionär"

Muammar El Gaddafi (58) will sein Land aus der langjährigen Isolation herausführen und ausländische Investoren für den ölreichen Wüstenstaat interessieren. Seit der libysche Revolutionsführer erfolgreich bei der Befreiung westlicher Geiseln auf der philippinischen Insel Jolo vermittelte, scheint ihm dies zu gelingen.

Muammar El Gaddafi (58) will sein Land aus der langjährigen Isolation herausführen und ausländische Investoren für den ölreichen Wüstenstaat interessieren. Seit der libysche Revolutionsführer erfolgreich bei der Befreiung westlicher Geiseln auf der philippinischen Insel Jolo vermittelte, scheint ihm dies zu gelingen. Neben der Annäherung an die Europäische Union gilt sein Hauptaugenmerk der Einigung des afrikanischen Kontinents.

Sie haben das Lösegeld für die deutschen Geiseln auf Jolo gezahlt. Halten Sie es für möglich, dass der philippinische Präsident Estrada einen Teil der von Ihnen gezahlten Millionen einbehalten hat?

Ich habe davon aus den Zeitungen und anderen Medien erfahren, aber ich glaube, das entspricht nicht der Realität.

Haben Sie den Eindruck, dass Ihnen die Bundesrepublik Ihren Einsatz dankt?

Ich kann mich nicht beschweren.

Sind Sie an einem Staatsbesuch in Deutschland interessiert?

Ich sehe kein Hindernis, nach Deutschland zu reisen. Sollte es dazu kommen, wäre das sehr fruchtbar für beide Länder.

Sie setzen sich ganz besonders für die Belange Afrikas ein. Was könnte Europa von Afrika lernen?

Ich denke, eher kann Afrika etwas von Europa lernen. (lacht)

Was?

Meine Hoffnung ist, dass Afrika wie Europa wird, dass es auch in Afrika zu einer Union der Länder kommen wird.

Sie betreiben die Union der Staaten der Sahara-Zone. Was darf man sich darunter vorstellen?

Wie Sie wissen, teilt die Wüste der Sahara die Länder im Norden von denen in der Mitte und im Süden Afrikas. So haben wir beschlossen, diese natürliche Hürde zu überwinden. Wir wollen zwischen Ländern diesseits und jenseits der Sahara Straßen- und Flugverbindungen herstellen und so Geschäftsverbindungen ermöglichen.

Sie haben sich zuvor so lange an einer Verbindung der arabischen Staaten versucht. Warum ist sie nicht zustande gekommen?

Nun, eine afrikanische Union ist leichter zu bewerkstelligen, auch wenn der Kontinent viel größer ist. Die Einheit der arabischen Länder ist auf dem Stand von Deutschland vor der Vereinigung. Ich meine aber nicht das Deutschland von heute, sondern das Deutschland Bismarcks. Oder von Italien vor der Einheit durch Garibaldi.

Wir sind jetzt im 19. Jahrhundert ...

Ich will damit sagen, die Schwierigkeiten bis zur Einheit waren groß, aber sie ist trotz allem zustande gekommen.

Wie stellen Sie sich die künftigen Beziehungen zur EU vor?

Sie werden sehr ergiebig sein, wenn die afrikanische Union zustande kommt. Es wird eine Verbindung über das Mittelmeer hinweg geben, was auch eine neue strategische Achse begründen könnte. Wir müssen zurück zum Plan 5 + 5. (Anmerkung der Redaktion: die Maghreb-Staaten Marokko, Algerien, Tunesien, Mauretanien, Libyen auf der einen und die europäischen Mittelmeerländer Spanien, Frankreich, Italien, Portugal und Malta auf der anderen Seite strebten in der ersten Hälfte der 90er Jahre eine politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit an. Seit 1995 versucht die EU im sogenannten Barcelona-Prozess mit allen 15 Mitgliedstaaten einen engeren Kontakt zu rund einem Dutzend Mittelmeeranrainern in Afrika und Vorderasien zu knüpfen.)

Was wäre der Vorteil des 5 + 5-Plans gegenüber dem bestehenden Barcelona-Prozess?

Nach der EU-Mittelmeerkonferenz in Marseille (Anm. d. Red.: im vergangenen November) ist Barcelona tot. Der Prozess hat keine Basis mehr, er ist ein Instrument der Unterdrückung.

Wer wird da unterdrückt?

Barcelona gründet nicht auf wirtschaftlichen Erwägungen, sondern allein auf politischen. Man will alles vermischen, Israelis mit Arabern, die Türkei mit Europa. Es ist ein Umweg, um die Türkei in die EU einzubinden. Wenn die EU aber die Türkei haben will, dann soll sie die Türkei direkt aufnehmen. Jordanien, Palästina, Israel, Syrien, der Libanon und die Türkei sind asiatische Länder. Es gibt aber schon eine europäisch-asiatische Kooperation. Und es gibt eine viel versprechende europäisch-afrikanische Kooperation, wie der Gipfel von Kairo (Anm. d. Red.: im vergangenen April) gezeigt hat. Was soll da noch der Barcelona-Prozess, außer dass er einen Teil Afrikas für Europa abspaltet und die arabische Welt dreiteilt: Ein Teil ist europatauglich, ein Teil bleibt in Afrika, ein Teil in Asien. Wie sollen denn die Beziehungen zwischen Mauretanien und Schweden aussehen?

Was erwarten Sie noch von der EU?

Ich finde, dass die Amtszeit von Romano Prodi als Präsident der Europäischen Kommission eine gute ist. Wer ihn ersetzen wird, wird nicht die gleiche Durchsetzungskraft haben. Es tut mir Leid zu beobachten, dass ihm viele Hindernisse in den Weg gelegt werden. Das ist nicht gut für die europäische Gemeinschaft.

Was behindert ihn?

Nationale Interessen, vor allem von Großbritannien.

Würden Sie der Europäischen Kommission einen Besuch abstatten?

Nach den Gipfeln von Kairo und Marseille sehe ich keine Schwierigkeiten mehr.

Welche sind aus wirtschaftlicher Sicht die interessantesten europäischen Länder für Sie?

Was Freundschaft und Treue betrifft, gibt es eine besondere Beziehung zu Italien. Aus wirtschaftlicher Sicht wäre die Zusammenarbeit mit Deutschland wichtig und fruchtbar. Frankreich bemüht sich auf diesem Gebiet sehr, aber es hat Pech: Egal, was es vorhat, immer entstehen politische Probleme.

Werden Sie Airbus-Flugzeuge bestellen?

Libyen wird nun, nach dem Embargo, seine Flotte erneuern. Es gibt einen Wettbewerb der Anbieter: Airbus, Boeing, British Aerospace und ein russisches Unternehmen. Alle hoffen auf den Auftrag, aber wir stellen unsere Bedingungen.

Welche?

Es darf nicht noch mal dazu kommen, dass wir zum Beispiel Boeings kaufen und dann von dieser Gesellschaft abhängig sind, weil plötzlich politische Probleme auftauchen und uns ein Embargo für Ersatzteile und technische Zusammenarbeit auferlegt wird. Wir hatten ein großes Unglück während des Embargos: Eine Maschine auf einem Inlandsflug zwischen Tripolis und Bengasi mit 150 Passagieren an Bord ist abgestürzt, weil ein wichtiges Ersatzteil nicht eingebaut worden war. Das sind unsere Bedingungen: Unabhängigkeit von politischen Entscheidungen, und außerdem muss der Anbieter einen Stützpunkt in Libyen einrichten und damit die Technologie ins Land transferieren.

Man spricht hier von einer möglichen Zusammenarbeit zwischen Libyen, Italien und Deutschland auch wegen anderer Projekte, zum Beispiel der Errichtung eines riesigen Schienennetzes in Ihrem Land.

Es gibt in der Tat einen großen Plan, und wir heißen die möglichen Partner willkommen. Wir haben viele Hindernisse aus der Vergangenheit ausgeräumt. Die Erfahrung hat uns eine Lektion erteilt, und die Globalisierung zwingt uns zur Öffnung. Wer diesen internationalen Wandel nicht akzeptiert, der wird als ein Reaktionär durchgehen.

Sie kennen das Wort von Gorbatschow: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben?"

(lacht) Es ist ein wahres Wort.

Vor einem Jahr haben Sie erstmals davon gesprochen, dass die Ära des Terrorismus vorbei sei. Warum?

Aus dem einfachen Grunde, dass die Gründe für solche Aktionen entfallen sind. Früher gab es Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt, es war eine Phase der bewaffneten Konfrontation. In Nicaragua etwa musste der Kampf um die Macht mit Waffen ausgetragen werden, heute gibt es Wahlen. In Irland ist man auf dem Wege zu einer politischen Lösung, die IRA ist dabei, die Waffen zu strecken. Und doch ist die Gefahr des Terrorismus nicht gebannt. Es gibt diese islamische Bewegung, die einen sehr grausamen Terror in Algerien und Ägypten ausübt. Die Mafia bedient sich terroristischer Methoden, ebenso die Drogenhändler. Und dann gibt es die terroristische Bedrohung durch neu entstehende Gruppen, die sich beispielsweise auf ethnische Theorien berufen. Das hat man jetzt im Süden der Philippinen beobachten können.

War es also ein Fehler, dass Sie früher die islamischen Gruppen auf den Philippinen bewaffnet haben?

Am Anfang war es kein Fehler, weil man sich in einer Phase bewaffneter Auseinandersetzungen befand, und anders die Inselprovinz Mindanao nicht zur Autonomie gekommen wäre. Aber jetzt erleben wir, wie bestimmte Gruppen möglicherweise den bewaffneten Kampf nur vorgeben, um ganz andere Dinge durchzusetzen - und das bereitet uns große Sorge.

Unter welchen Bedingungen würden Sie denn einem Friedensvertrag im Nahen Osten zustimmen? Wann würden Sie das Existenzrecht Israels anerkennen?

Es gibt ein Vorbild, und das ist Südafrika. In Israel haben die Palästinenser den Stellenwert wie die Schwarzen früher in Südafrika, und die Israelis den der Weißen. Man muss dort ein demokratisches Bündnis wie in Südafrika unter Mandela schließen: Das palästinensische Volk muss in seine Gebiete zurückkehren können, und es muss demokratische Wahlen unter Aufsicht der Vereinten Nationen geben. Eine andere Lösung gibt es nicht.

Muammar El Gaddafi (58) will sein Land aus der lan

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