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Politik: Expedition in die neue Arbeitswelt (Kommentar)

Lissabon ist eine attraktive Stadt. Vom Ufer des Tejo sind große Entdecker aufgebrochen, um eine "Neue Welt" zu erobern und den christlichen Glauben zu verbreiten.

Lissabon ist eine attraktive Stadt. Vom Ufer des Tejo sind große Entdecker aufgebrochen, um eine "Neue Welt" zu erobern und den christlichen Glauben zu verbreiten. Dort treffen sich an diesem Donnerstag und Freitag die Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Länder mit dem Präsidenten der Kommission, Romano Prodi, zu einem weiteren Aufbruch-Gipfel. Sie wollen die besten und schnellsten Wege in die "Neue Wirtschaft" erkunden und ebnen. Vielleicht werden sie auch darüber beraten, wie sie die verlorenen oder gefährdeten österreichischen Brüder und Schwestern wieder unter das Dach der gemeinsamen europäischen Wertegemeinschaft zurückholen können. Aber ist zu erwarten oder gar zu befürchten, dass etwas Konkretes bei diesem Gipfel am Atlantik herauskommt? "Wendepunkt oder Wunschkonzert", fragt die "Neue Zürcher Zeitung". Es wird wohl wieder nur eine wohltönende Folkloreschau mit traurig schönen Volksliedern. Saudade. Warum?

Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in der EU ist schon so oft Gegenstand höchster Besorgnis und gut gemeinter aber wirkungsloser Rezepturen gewesen. Die 15 Millionen EU-Arbeitslosen (davon 4 Millionen in Deutschland) sind 15 Millionen zu viel. Aber keine noch so lauthals verkündete einheitliche, zentrale Beschäftigungspolitik und keine konkrete Zielvorgabe für das Wachstum oder die maximal zulässige Arbeitslosenquote kann das Problem lösen. Die großen Unterschiede bei der ausgewiesenen Arbeitslosigkeit in den Mitgliedsländern und die frappierend unterschiedlichen Erfolge bei der Schaffung neuer Jobs zeigen den Königsweg in die Vollbeschäftigung: Lernen von den guten Beispielen, lernen von den Engländern, den Holländern, den Dänen und auch den Amerikanern, wie es geht. Weg mit den vielen Hindernissen beim Aufbruch in die neue "wissensbasierte, globale Wirtschaft". Nötig sind: eine bessere, lebenslängliche Aus- und Weiterbildung der Menschen, um sie für die neuen Aufgaben fit zu machen und fit zu halten; und ein allgemeines Klima der Lust auf riskante Expeditionen in diese "Neuen Welten". Lernen voneinander und danach trachten, als erste auf den neuen Märkten anzukommen. Das müssen die (erneuten) Lektionen von Lissabon sein - und bitte keine neuen europäischen Beschäftigungsprogramme.

Es lohnt, nicht nur auf die "Benchmarks" in den oft genannten Musterländern zu schauen. Spanien beispielsweise hat immer noch eine hohe Arbeitlosenquote, war jedoch in den vergangenen drei Jahren bei weitem am erfolgreichsten bei der Schaffung neuer Jobs. Von Deutschland dagegen konnten die anderen bislang nur lernen, wie man es nicht machen sollte. Die Arbeitsplatzbilanz fällt hier äußerst mager aus. Erst jetzt scheint sich auch hier zu Lande zaghaft eine Einsicht zu verbreiten, die anderswo in Europa schon gute Früchte getragen hat: Arbeit muss sich lohnen. Im schwierigen Balanceakt zwischen zu viel Sozialstaat und zu viel Sozialdarwinismus darf es heute ruhig etwas mehr Leistungsdruck und Eigenverantwortung sein. Liberalisierung und Wettbewerb sind unbequem, aber - trotz der Verteufelung - zumeist von Nutzen.

Insofern könnte der Gipfel in Lissabon doch nützlich sein - besonders für die Regierung Schröder: Vergleichen, lernen und beherzt umsetzen. Romano Prodi und sein Team wollen wieder mehr Zuversicht und Dynamik in die Europäische Union bringen. Sie sehen Europa wirtschaftlich zehn Jahre hinter den Vereinigten Staaten. Einige sinnvolle Projekte liegen auf dem Konferenztisch: Schaffung eines einheitlichen europäischen Forschungsmarktes, eines europäischen Patents und eines kostengünstigeren und breiteren Internetzugangs. Verzichten darf man dagegen getrost auf konkrete Zielzahlen. An Versprechen, die Arbeitslosigkeit zu halbieren, hat es in Deutschland wahrlich nicht gefehlt.

Am großen runden Tisch in Lissabon darf auch der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mitreden. Der Bann der europäischen Wertegemeinschaft, der Jörg Haider meint, aber auch Schüssel und letztlich nahezu jeden Österreicher trifft, wird, so ist zu hoffen, noch einmal bedacht - und revidiert. Europa hat wichtigere politische Aufgaben zu lösen, als verfeinerte Methoden der Nichtbeachtung und Diskriminierung gegen Mitglieder anzuwenden, die noch gar nicht wirklich gesündigt haben. Europas Bürger warten alle vergeblich auf einen Entwurf für eine europäische Verfassung - und die Osterweiterung rückt schnell näher. Gipfel bieten oft prächtige Aussichten, aber Einsichten sind wichtiger.

Heik Afheldt

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