zum Hauptinhalt
Erste Hilfe. Ein Leichtverletzter hilft einem anderen Opfer des Anschlags. Foto: Reuters

© REUTERS

Politik: Explosion vor der Haustür des Diktators

War es ein Terroranschlag in der U-Bahn der weißrussischen Hauptstadt Minsk? Regimekritiker sprechen von Ablenkungsmanöver

Moskau/Warschau - Blutüberströmt und schockiert rennen Menschen aus der Metro, fassungslos suchen sie nach Erklärungen für die Gewalttat. Bei einer U-Bahn-Explosion in der weißrussischen Hauptstadt Minsk sind am Montagabend mitten im Feierabendverkehr mindestens elf Menschen getötet und viele verletzt worden. Laut Augenzeugenberichten explodierten die Sprengsätze in dem Moment, als der Zug in die zentral gelegene Metrostation „Oktoberplatz“ eingefahren war. Es handelt sich dabei um den einzigen Umsteigebahnhof der beiden Minsker U-Bahnlinien; zudem befindet er sich ganz in der Nähe des Präsidentenpalastes. Der Sender „Radio Swoboda“ berichtete von grauen Rauchsäulen aus den U-Bahnschächten. Mehreren Personen wurden bei der Explosion offenbar Beine oder Arme abgerissen. Das weißrussische Staatsfernsehen zeigte am Abend Bilder der weitgehend intakten, qualmenden U-Bahnstation. Zuvor hatte es geheißen, auch Teile der Decke seien eingestürzt.

Laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax vermutet die weißrussische Staatsanwaltschaft einen Terroranschlag. Lukaschenko ordnete sofort eine Erhöhung der Sicherheitsmaßnahmen im Lande an, am Abend besuchte der Präsident die rund 300 Meter von seinem Amtssitz entfernte Unglückstelle.

Nicht Wenigen schießen die Ereignisse vom Juli 2008 in den Kopf. Damals detonierte am Rande eines Konzerts eine mit Nägeln und Schrauben gefüllte Bombe, als in der Nähe der von Menschenrechtlern als letzter Diktator Europas kritisierte Lukaschenko eine Rede zum Tag der Unabhängigkeit hielt. Knapp eine Woche nach dem Bombenanschlag mit 50 Verletzten nahm die Polizei vier Verdächtige fest. Der Vorwurf lautete Terrorverdacht. Die Verdächtigen von damals sollen Mitglieder der nationalistischen Untergrundorganisation Weiße Legion gewesen sein, die sich zur Gewalt gegen staatliche Organe bekannt hätten, schrieben Medien damals. Doch aufgeklärt wurde der Fall nie. Vielmehr sprachen schon damals Experten prompt von einem Ablenkungsmanöver.

So wie auch jetzt regierungskritische Beobachter Zweifel an der offiziellen Version haben. Sie sehen in dem Anschlag ein mögliches Manöver von Staatschef Lukaschenko, um von der Krise im Land abzulenken. Von „internen Machtspielen“ schreiben anonyme Blogger etwa bei „livejournal.ru“. Oder der russische Geheimdienst FSB habe die Finger im Spiel, um die Lage im Nachbarland weiter zu destabilisieren, wie der Blogger „nanoagent“ meint. Weißrussland sei wirtschaftlich am Boden, da brauche das Volk ein Ablenkungsmanöver, schrieb ein Internaut in der oppositionellen Internetzeitung „charter97.org“. Diese war erst am Morgen einer Verschwörung bezichtigt und verboten worden. „Wir haben nur einen Terroristen“, meinte ein Oppositioneller und nannte die Adresse des Präsidentenpalastes.

Lukaschenko bezeichnete den Anschlag nach Medienberichten als „Geschenk“. „Ich schließe nicht aus, dass uns dieses Geschenk von außen gebracht wurde, aber wir müssen auch im Inneren suchen“, sagte er bei einer Krisensitzung am Abend. Beobachter sehen Lukaschenko unter starkem innenpolitischen Druck. Seit seiner Wiederwahl im Dezember sind seine Umfragewerte im Sinkflug. Nach den gewaltsam aufgelösten Protesten von Regierungsgegnern gegen den manipulierten Wahlsieg sitzen viele Oppositionelle im Gefängnis. Als Reaktion auf die Unterdrückung Andersdenkender verschärften zuletzt die EU und die USA die Sanktionen gegen das Regime. Seither klagen viele Menschen über eine zunehmend angespannte Wirtschaftslage. Seit Tagen schon gibt es keine Euro oder Dollar mehr zu kaufen. Viele Menschen horten Lebensmittel. Die klamme Führung hofft derweil darauf, einen Staatsbankrott mit Milliardenkrediten abzuwenden. Zwei Milliarden US-Dollar hat Minsk bei früheren Sowjetrepubliken beantragt. Eine Milliarde US-Dollar soll zusätzlich von Russland kommen. Paul Flückiger/Ulf Mauder (dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false