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Politik: Explosive Mischung

Ein Chemiewerk steht dem Ausbau des Frankfurter Flughafens im Weg. Störfallexperten empfehlen wegen der Gefahr, alle bestehenden Flugrouten zu überprüfen

VON Christoph Schmidt Lunau,

Wiesbaden

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) droht einem Chemieunternehmen mit Enteignung, die Landtagsgrünen sorgen sich deshalb öffentlich um rund 1000 Arbeitsplätze, und der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU wirft ihnen deshalb vor, sie spielten sich als Lordsiegelbewahrer der chemischen Industrie auf.

Verkehrte Welt in Hessen, seitdem erst Gutachter und nun auch eine Arbeitsgruppe der Störfallkommission des Bundes die Ticona-Chemieproduktion in Kelsterbach als ernstes Hindernis für die geplante neue Landebahn auf dem benachbarten Rhein- Main-Flughafen „Fraport“ ausgemacht haben. Der Flughafenbetreiber bestreitet die Seriosität des Votums heftig und hofft so, das abschließende Urteil der Kommission noch abwenden zu können. Doch es dürfte für Fraport noch schlimmer kommen.

Die Störfallkommission, die am Mittwoch in Bonn tagt, wird nach Informationen des Tagesspiegels auch die Überprüfung des laufenden Flugbetriebs fordern. Bislang starten an Tagen mit Westwind tausende Flugzeuge von Rhein-Main in Richtung Norden. Sie überfliegen dabei die Ticona-Kunststoffproduktion, bei der in großen Mengen mit explosivem Ethylen und giftigem Bortrifluorid gearbeitet wird. Gutachter haben die Risiken eines Flugzeugabsturzes über dem Werksgelände untersucht. Übereinstimmend nennen sie das Einbunkern von Gastanks, den Umbau von Produktionsanlagen und die Verlagerung von Schornsteinen und Antennen als unabdingbar für das Nebeneinander von neuer Landebahn und Chemieproduktion. Bei einem Flugzeugabsturz über dem Ticona-Gelände droht nach übereinstimmender Einschätzung der Totalverlust der Anlage mit hunderten Toten. Der RWTüv sagt zusätzlich Dominoeffekte voraus, mit schwer zu löschenden Bränden und Explosionen. Giftgase könnten bei einer unglücklichen Verkettung von Ereignissen bis zu 26 000 Menschen gefährden.

Das Positionspapier für die entscheidende Beratung der Störfallkommission am Mittwoch, das dem Tagesspiegel vorliegt, fordert deshalb „zwingend“ einen neuen Abwägungsprozess zur Festlegung der Abflugrouten. Das Luftfahrtbundesamt hatte noch im November festgestellt, bei der Routenfestlegung „war und ist … die Problematik der Absturzrisiken über Anlagen, die teils hochgiftige chemische Stoffe produzieren, nicht Gegenstand des Abwägungsvorgangs“. Ein „Freihalten“ des Ticona-Geländes sei „nicht erreichbar“.

Nach dem bisher unveröffentlichten Votum der Störfall-Experten klafft hier eine Gesetzeslücke. Störfallrisiken müssten in die Routenplanung einfließen. Im Ergebnis könnte dies auf ein Überflugverbot für das Ticona-Gelände hinauslaufen. Vielleicht fährt Fraport-Vorstandsvize Manfred Schölch deshalb im Vorfeld der Kommissionssitzung schweres Geschütz auf. Denn würde man, so Schölch, die von der Kommission angesetzten Maßstäbe konsequent auf alle potenziell absturzgefährdeten Lagen anwenden, wäre der Luftverkehrsstandort Deutschland ebenso gefährdet wie eine nicht überschaubare Anzahl deutscher Industriestandorte.

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