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Politik: Extremer Friede

In der britischen Öffentlichkeit wachsen die Zweifel am Irak-Krieg – und Blair beschimpft die Demonstranten

Mit einem Stalin-Zitat versucht der „Daily Telegraph" die Zweifel seiner Leser am Fortschritt des Krieges zu relativieren: „Ein Toter ist eine Tragödie, eine Million sind Statistik." Doch der Verlust von vierzehn britischen Soldaten, die im „freundlichen Feuer" starben und die Bilder ihrer gefangenen amerikanischen Kameraden im irakischen Fernsehen dämpfen die anfängliche Hoffnung auf einen schnellen und glorreichen Krieg. Gefragt nach dem anhaltenden Widerstand in dem bereits eroberten Süden, antwortete Verteidigungsminister Geoff Hoon: „Ich habe nie einen schnellen und leichten Sieg vorrausgesagt." Aber laut Hoon läuft der Angriff voll „nach Plan". Wichtige Ölfelder im Süden seien ohne die befürchtete Umweltkatastrophe genommen worden. Die Gefechte seien „relativ geringfügige Aktionen von Saddams Desperados, die nichts zu verlieren haben". Sie könnten die Strategie nicht hindern, zügig nach Bagdad vorzurücken. Der Verteidigungsminister erklärte die anhaltenden Kämpfe in Basra und anderen Städten mit der Verpflichtung der Alliierten, zivile Opfer so weit wie möglich zu vermeiden.

Deshalb könnten die Widerstandsnester nicht durch Luftschläge ausgeräumt werden, sondern von Bodentruppen. Diese Taktik aber erhöht bei den Briten die Sorge um weitere Verluste. Weil sie durch Nordirland große Erfahrung haben, werden vor allem britische Truppen im Häuser- und Straßenkampf eingesetzt.

Die Massenpresse versucht die demoralisierende Wirkung gefangener US-Soldaten, in deren Gesichtern jetzt die Kriegslosung „Schock und Entsetzen" steht, ins Gegenteil umzukehren: „Unsere Abscheu macht uns stärker", donnert die Schlagzeile der „Daily Mail". Und die „Sun" empört sich besonders darüber, dass bei den gefallenen amerikanischen Soldaten, deren Bilder im irakischen Fernsehen gezeigt wurden, die Unterwäsche zu sehen ist. Freilich vergaßen Zeitungen und Fernsehsender dabei, dass sie wieder und wieder irakische Gefangene vorführten, wie sie vor britischen Soldaten knien.

Der größte Schock für das britische Publikum war jedoch der Fernsehauftritt von Saddam Hussein. Er zerschlug die Hoffnung, dass er bei den Bombardierungen Bagdads getötet oder zumindest verwundet wurde. Seine von Hass und Trotz erfüllte Rede lässt viele Briten befürchten, dass die Kämpfe um Bagdad nicht ohne schwere Verluste bei ihren Soldaten enden werden. Mit dem Bild eines Irakers, der mit dem Messer im Mund im Tigris nach angeblich abgesprungenen britischen Soldaten sucht, warnt die „Daily Mail" vor der Brutalität des Gegners.

Solche Bilder bestätigen auch Premierminister Tony Blair in seiner Überzeugung, das „unmenschliche Regime von Saddam Hussein zu beendigen". Daran ändern auch die Hiobsbotschaften dieses Wochenendes nichts. „Ein Krieg ist niemals einfach," sagte der Premierminister. Die halbe Million Demonstranten, die wieder an diesem Wochenende in britischen Städten für ein Ende des Krieges demonstrierten, wurden von Blair in seiner Radiobotschaft an die Truppe scharf abqualifiziert: „Mit Ausnahme von einigen Extremisten steht die Nation in diesen Zeiten fest hinter euch", versicherte er den Soldaten. Die Tradition, sich im Krieg mit den Streitkräften zu solidarisieren, täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass immer noch die Hälfte der Briten Zweifel an dem Angriff hegt.

Dieses Dilemma spricht auch aus der Titelseite des „Daily Mirror", des einzigen Massenblattes, das von Anfang an Blairs Kriegspläne abgelehnt hatte. „Was für ein schlimmer Tag in einen sinnlosen Krieg", titelte die Boulevardzeitung über die Unglücksnachrichten. „Nur weil dieser Krieg begonnen hat, ist er deswegen noch nicht gerechtfertigt."

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