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Warnende Worte. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle verkündet das Urteil. Der Deal muss festen Regeln folgen, sagt er. Sonst ist er verboten. Foto: dpa

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Politik: Fair geht vor

Absprachen im Strafprozess sind erlaubt, sagt das Verfassungsgericht. Aber nicht auf Kosten Angeklagter.

Berlin - Der Angeklagte, ein Berliner Polizeikommissar, steht unter Druck. Er soll einen vietnamesischen Zigarettenhändler beraubt haben. Soll er die Tat gestehen? Dann kann es Bewährung geben. Sonst droht längere Haft. Der Richter drängt zur Eile, der Polizist knickt ein. Es wird es ein kurzer Prozess im März 2011 vor dem Landgericht. Zeugen werden keine gehört. Das Urteil: Zwei Jahre auf Bewährung. Eine Absprache, wie sie in der Justiz alltäglich ist.

Aber es hätte sie nicht geben dürfen, erklärte am Dienstag das Bundesverfassungsgericht. Der Fall muss nun neben zwei weiteren neu aufgerollt werden. Denn der sogenannte Deal sei zwar erlaubt, um ein Strafverfahren zu verkürzen. Aber es geht zu weit, wenn Angeklagte praktisch gezwungen würden, sich selbst zu belasten.

Das derzeit geltende Verständigungsgesetz ist „noch nicht“ verfassungswidrig, urteilten die Richter. Also kann es das noch werden. Der Zweite Senat sprach vornehm von einem „Vollzugsdefizit“. Im Klartext bedeutet es, dass sich die beteiligten Richter und Staatsanwälte häufig nicht an die Regeln halten. Für diese Feststellung bedurfte es nicht der empirischen Untersuchung, die das Gericht eigens in Auftrag gegeben hatte; jeder Strafverteidiger kann berichten, wie in Justitias Hinterzimmern Verfahren erledigt werden, wenn niemand an einer aufwendigen Hauptverhandlung interessiert ist. Richter und Staatsanwälte wollen Akten vom Tisch haben, während die Angeklagten und ihre Anwälte auf ein günstigeres Ergebnis hoffen.

Nicht nur für die Vertreter der reinen strafprozessualen Lehre sind solche Absprachen skandalös, auch manche Gerichtspräsidenten kritisieren sie; sie unterliefen den Auftrag zur Wahrheitsfindung im Gerichtssaal, heißt es, und sie verstießen gegen das Prinzip, dass es eine Strafe nur bei erwiesener Schuld geben dürfe. Durchgesetzt haben sich über die Jahre jedoch die Pragmatiker, und sie folgen dabei auch der Praxis im Ausland. Zudem sind nicht nur hierzulande die Strafgesetze komplizierter geworden. Diebstahl, Totschlag und Erpressung mögen das eine sein. Wenn es aber um komplexe Betrugsdelikte oder den Gummiparagrafen Untreue geht, schwellen die Akten, und die Beweisaufnahme gerät zur Wissenschaft.

Dann neigen die Beteiligten zu einer einvernehmlichen Lösung, an deren Ende ein abgesprochenes Urteil steht. Jenseits rechtsstaatlicher Theorie kann das zu ungerechten Ergebnissen führen. Deal-Kandidaten sind häufig Weiße-Kragen-Täter, Leute also aus den besseren gesellschaftlichen Etagen, die teils aus ihren Berufen heraus zu Kriminellen werden. In den einfachen Milieus dagegen wird aufgeklärt, angeklagt und abgestraft wie ehedem.

2005 hatte der große Strafsenat des Bundesgerichtshofs klargestellt, dass es den Deal unter bestimmten Regeln dennoch geben dürfe. Vier Jahre später folgte die Politik dem Appell, Absprachen im Gesetz festzuschreiben. Seitdem müssen sie protokolliert und transparent gemacht werden. „Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein“, heißt es da auch.

Mit ihrem Urteil haben die Verfassungsrichter die Vorgaben nun weiter präzisiert. Informelle Absprachen außerhalb des Verständigungsgesetzes sind unzulässig. Zentrales Anliegen des Strafprozesses bleibe die Ermittlung des wahren Sachverhalts. Der Beschuldigte müsse „frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt“. Grundlage des richterlichen Urteils sei weiterhin ausschließlich die Überzeugung des Gerichts und nicht der unter den Beteiligten gefundene Konsens. Zudem sei das verständigungsbasierte Geständnis „zwingend auf seine Richtigkeit zu überprüfen“.

Künftige Deals werden sich daran messen lassen müssen. Der Berliner Kommissar hofft jetzt auf ein faires Verfahren. Denn er beteuert seine Unschuld.

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