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Fake-News als Sprengsatz: Eine pakistanische Rakete - Pakistans Regierung war auf eine falsche Nachricht reingefallen.

© imago/Xinhua

"Fake News": Staat darf sich nicht zum Richter über die Wahrheit erheben

Immer öfter verunsichern gezielt gestreute Falschmeldungen Regierungen und Öffentlichkeit. Aber brauchen wir deshalb eine "Wahrheitsbehörde"? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Postfaktisch ist das Wort des Jahres, „Fake News“, also Falschmeldungen, „trenden stark“, wie es auf Social-Media-Neudeutsch heißt – mit gefährlichen Folgen: In Washington schoss ein Mann in einer Pizzeria um sich, weil er Meldungen glaubte, Hillary Clinton betreibe dort einen Kinderpornoring; in Berlin geriet Renate Künast in einen bedrohlichen „Shitstorm“, weil ihr in einem gefälschten Zitat bei Facebook Verständnis für einen unter Mordverdacht stehenden Flüchtling angedichtet wurde; kurz vor Weihnachten fiel der pakistanische Außenminister auf die Behauptung einer Website herein, Israel drohe seinem Land mit einem Atomangiff; und am Montag twitterte Sony den Unfalltod von Britney Spears – sie lebt, jemand hatte den Account des Unternehmens gehackt.

Die Bundesregierung rechnet inzwischen fest damit, dass durch „Fake News“ auch der Wahlkampf 2017 manipuliert werden soll – von wem auch immer, gerne genannt werden russische Hacker. So überrascht auch die Nachricht nicht, dass im Innenministerium ein „Abwehrzentrum gegen Desinformation“ geplant wird, angesiedelt beim Bundespresseamt, das dem Sprecher der Kanzlerin untersteht. Oder ist auch das eine Falschmeldung? Es klingt fast so. Eine „Wahrheitsbehörde“ ist doch eher was für totalitäre Staaten und die Literatur.

Kleines Gedankenspiel: Was hätte das Abwehrzentrum gegen Desinformation wohl aus der ersten relevanten Falschmeldung dieses in mehrfacher Hinsicht verrückten Jahres gemacht? Sie wurde, ausgerechnet, verantwortet vom Staat, der die Wahrheit jetzt amtlich prüfen und Verstöße dagegen „konsequent“ (Minister Heiko Maas) sanktionieren lassen will – und sie stammt von der Kölner Polizei, die zu den Ereignissen der Silvesternacht auf der Domplatte am 1. Januar wider besseres Wissen bekanntgab: „Keine besonderen Vorkommnisse.“

Der feine Grad der Meinungsfreiheit

Mit dem Staat und der Wahrheit ist es eben so eine Sache: Er hat da gerne seine eigene. Bleiben wir gleich mal beim Justizminister, der die Welt in den sozialen Netzwerken in Gut und Böse einteilt. Mal will er „den Menschen die Wahrheit sagen“ – seine wahre Rolle aber in der Affäre um die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen „netzpolitik.org“ verschwieg er lieber. Oder nehmen wir den Innenminister, dessen berühmtester Satz lautet: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“ Mit anderen Worten: Die Wahrheit sage ich mal lieber nicht. Und wie schätzte eine solche Wahrheitsbehörde wohl die Behauptung des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller ein, unmittelbar nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz, die Situation sei „unter Kontrolle“? Die Wahrheit war es jedenfalls nicht, der Täter lief noch unerkannt frei herum.

Ein Staat muss Geheimnisse haben und behalten dürfen, auch kann und darf er irren. Eine Regierung muss ihre Sicht der Dinge darstellen, dafür gibt es das Bundespresseamt. Üble Nachrede und Verleumdung stehen unter Strafe, das festzustellen ist Sache der Justiz. Die mangelnde Verantwortung sozialer Medien, auf deren Plattformen strafrechtlich Relevantes verbreitet wird, ist ein ungelöstes Problem. Aber eine Behörde, die, dem Regierungssprecher unterstellt, auf dem feinen Grat der Meinungsfreiheit balancierend, sich zum Richter über Information und Desinformation erhebt, stürzt früher oder später ab – und reißt den Staat mit hinab in die Glaubwürdigkeitsfalle.

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