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Fall Kurnaz: Lehnte Rot-Grün ein Freilassungsangebot ab?

Die rot-grüne Bundesregierung hätte aus Sicht der Opposition dem aus Bremen stammenden Türken Murat Kurnaz die Internierung in Guantánamo möglicherweise ganz ersparen können.

Berlin - Die Regierung hätte sich aus rechtlichen und humanitären Gründen im Januar 2002 um seine Auslieferung nach Deutschland bemühen müssen, erklärten FDP und Linksfraktion in Berlin. Alle Fraktionen im Bundestag außer der SPD drängten den Außenminister und früheren Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu einer schnellen Aussage vor dem BND- Untersuchungsausschuss. Die SPD und Kanzlerin Angela Merkel sprachen Steinmeier über ihre Sprecher unterdessen ihr volles Vertrauen aus.

FDP-Chef Guido Westerwelle sagte dagegen, sollte es bei den bisherigen Informationen bleiben, "wird es für den Außenminister sehr eng". Dabei geht es um die Frage, ob die Bundesregierung im Herbst 2002 ein Angebot aus den USA, Kurnaz wieder freizulassen, abgelehnt habe. Kurnaz soll damals bereits als unschuldig gegolten haben. Er saß dann noch bis 2006 ohne Prozess in Guantánamo. Der Vorsitzende des BND-Ausschusses, Siegfried Kauder (CDU), sagte dem Fernsehsender N24, es werde von großer Bedeutung sein, welche Gründe Steinmeier für die Verweigerung der Rücknahme von Kurnaz angeben werde. "Da müssen ihm gute Gründe einfallen." Steinmeier werde vermutlich im März oder April angehört.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, Ulrich Maurer, sagte, der rot-grünen Bundesregierung sei bereits im Januar 2002 bekannt gewesen, dass die USA schon im afghanischen Kandahar Gefangene misshandelten. Dorthin war Kurnaz nach seiner Festnahme in Pakistan verschleppt worden. "Nach der Genfer Menschenrechtskonvention hätte sie sich deshalb um die Überstellung von Kurnaz kümmern müssen."

Wollte Regierung Härte im Terrorkampf zeigen?

Außerdem sei damals in Bremen ein - später eingestelltes - Ermittlungsverfahren gegen Kurnaz wegen Terrorverdachts anhängig gewesen, sagte Maurer. Es wäre ein "normales Verfahren" gewesen, dass die ermittelnde Staatsanwaltschaft über das Auffinden von Kurnaz informiert worden wäre und auf eine Überstellung des damals 19- Jährigen gedrungen hätte. Es wäre "menschenverachtend", sollte die Regierung im Herbst 2002 tatsächlich Kurnaz' Freilassung abgelehnt haben, um Härte im Anti-Terrorkampf zu zeigen. Folge man aber dieser Argumentation, hätte die Regierung im Januar 2002 sich erst recht um die Überstellung von Kurnaz kümmern müssen, um die Solidarität mit den USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zu zeigen.

Auch der FDP-Obmann im BND-Untersuchungsausschuss, Max Stadler, sagte: "Alle verantwortlichen Stellen hätten sich damals darum bemühen sollen, dass Herr Kurnaz nach Deuschland kommt und nicht nach Guantánamo." Kurnaz' Anwalt Bernhard Docke sagte, Deutschland hätte damals sofort ein Rechtshilfeersuchen auf Überstellung stellen können, da in Bremen das Verfahren anhängig war. Die Amerikaner hätten selbst keine Informationen über Kurnaz gehabt.

Der Grünen-Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele sagte, natürlich hätte es Gründe für Bemühungen gegeben, damit die Bremer Staatsanwaltschaft ihr Verfahren hätte fortsetzen können. Es sei aber noch nicht klar, was die rot-grüne Bundesregierung im Januar 2002 alles wusste. Er selbst habe erst in der vergangenen Woche "mit Schrecken festgestellt", welche Kenntnisse die in Kandahar eingesetzten deutschen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) damals gehabt hätten.

Anzeigen wegen Beihilfe zur Folter

Bei der Staatsanwaltschaft Tübingen sind im Zusammenhang mit dem Einsatz der Elite-Soldaten in Afghanistan Anzeigen wegen Beihilfe zur Folter eingegangen. Die Anzeigen richteten sich gegen Mitglieder der Bundesregierung und Soldaten des KSK, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Walter Vollmer. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zwei KSK-Soldaten, die Kurnaz misshandelt haben sollen.

In Brüssel stimmt an diesem Dienstag der CIA-Sonderausschuss des EU-Parlaments über seinen Abschlussbericht zu den Aktivitäten des US- Geheimdienstes in Europa ab. In dem Berichtsentwurf heißt es, "dass vertraulichen institutionellen Informationen zufolge die deutsche Regierung das Angebot der Vereinigten Staaten aus dem Jahre 2002, Murat Kurnaz aus Guantánamo freizulassen, nicht angenommen hat". Außerdem hätten ihm deutsche Beamte "jeden Beistand verwehrt", als sie ihn 2002 und 2004 in Guantánamo verhörten. (tso/dpa)

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