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Politik: Falsche Helden

Von Friedhard Teuffel

Gerüchte haben nicht ausgereicht, um das Bild vom Sport zu verändern. Jeder hatte geahnt, dass etwa die Berge bei der Tour de France nur mit Doping so schnell hochzuradeln sind. Zugeschaut wurde am Fernseher trotzdem. Die Vorfreude auf die nächste Tour schien auch schon wieder spürbar zu sein, obwohl nicht einmal klar ist, wer als Sieger des vergangenen Jahres gilt. Kann nun die Gewissheit bewirken, was Gerüchte nicht geschafft haben? Zum ersten Mal hat schließlich ein deutscher Radsportler offen über Betrug gesprochen. Nicht als Verfehlung eines einzelnen. Nein, als Mannschaftsdisziplin.

Diese Gewissheit löst erst einmal neue Unsicherheit aus. Sport war immer noch so schön einfach. Es gab Sieger und Besiegte. Doch wer ist jetzt der Held? Jan Ullrich, der verdächtigt wird, jahrelang wie viele andere auch verbotene Mittel genommen zu haben, aber als einziger Deutscher die Tour de France gewonnen hat? Oder Bert Dietz, der ein bahnbrechendes Geständnis abgelegt hat, aber selbst mit verbotenen Substanzen nie gut genug für die Tour de France war?

Vielleicht wird die Einschaltquote bei großen Radrennen, bei Leichtathletik- und Schwimmwettkämpfen bald so wichtig wie die Wahlbeteiligung bei einer Landtagswahl. Vielleicht wird sie Auskunft geben über die Verdrossenheit des Publikums und darüber, ob es den Beteiligten das Versprechen abnimmt, mit ehrlichen Mitteln zu arbeiten. Aber es würde auch nicht verwundern, wenn erst einmal alles so weiterginge.

Zu sehen gibt es bei Fernsehübertragungen nur durchtrainierte Menschen und zu hören einen Kommentar, der die Ware Leistung anpreist. Nicht zu sehen sind Spritzen, Blutkonserven und gesundheitliche Spätfolgen bei den gedopten Athleten. Viel wichtiger als der Sport selbst ist oft ohnehin das Ereignis. Das Gefühl für den Fernsehzuschauer oder Stadionbesucher, dabei zu sein, übertrifft meist den Wert des Erlebten. Nur zur Erinnerung: Deutschland ist in diesem Jahr Handball-Weltmeister geworden.

Viele Auswege bleiben dem Sport nicht. Doping freizugeben, würde bedeuten, das Grundgesetz des Sports abzuschaffen. Die Amnestie für gedopte Athleten, die nun gefordert wird, ist unrealistisch. Dass auf einmal alle ihr Doping zugeben und danach von vorne anfangen, setzt voraus, dass Sponsoren nicht die Millionen zurückfordern, mit denen sie die Sportler zuvor überschüttet haben.

Der Sport könnte es zunächst mit neuer Ehrlichkeit versuchen. Es ist verlogen, dem Publikum weiszumachen, es sei möglich, nach immer größeren Leistungen zu streben und gleichzeitig eine große Familie zu bleiben, in der Werte wie Fairness und Verständigung mehr zählten als anderswo und in der es besonders um Gesundheit gehe. Leistungssport hat mit Gesundheit so viel zu tun wie Rauchen mit Atemgymnastik.

Vor allem muss sich der Sport kleinere Ziele setzen. Er sollte sich nicht vornehmen, Doping zu besiegen, sondern den Rückstand auf die Betrüger zu verringern – mit Hilfe besserer Kontrollen, mit der Wissenschaft und der Polizei. Falls der Sport selbst nicht darauf kommt, wird die Politik ihm sicher auf die Sprünge helfen. Denn es ist die Frage, ob es vertretbar ist, Disziplinen wie den Radsport mit Steuereinnahmen zu fördern, nur weil sie olympisch sind. Gut möglich, dass der Sport durch all das unspektakulärer wird, weil nicht mehr so schnell gerannt und geradelt wird. Und dass das Publikum Abschied nehmen muss von vielen Helden. Aber wäre das so schlimm?

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