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Mit einem Marsch zur deutschen Botschaft in Athen protestierten jetzt die Angehörigen von syrischen Flüchtlingen, die bereits in Deutschland sind, für ihre Familienzusammenführung.

© Socrates Baltagiannis/dpa

Familiennachzug: Syrische Familien protestieren in Griechenland und Berlin

In Deutschland und Griechenland demonstrieren Syrer. Einzelne treten in Hungerstreik: Ihre Familien sollten längst hier sein.

Sie müssten schon hier sein, Deutschland hat ihnen zugesagt, dass sie zu ihren Vätern, Geschwistern oder Kindern ziehen dürfen, die bereits in Deutschland leben. Doch seit vielen Monaten warten sie vergeblich darauf, dass das auch wirklich passiert. Aus den in Griechenland festsitzenden syrischen Familien sind deswegen Anfang November 14 Menschen in den Hungerstreik getreten, am Mittwoch zogen Angehörige auch vor die deutsche Botschaft in Athen und das Bundesinnenministerium, um ihre Forderungen vorzutragen.

Innenministerium: Zu wenig Beamte, viel Aufwand

Ohnehin haben syrische Geflüchtete seit dem letzten Jahr nur noch selten das Recht, ihre engere Familie nachzuholen, wenn sie selbst den Weg nach Deutschland geschafft haben. Mit dem Asylpaket II im Frühjahr 2016 wurde Familiennachzug für lediglich kurzfristig (subsidiär) Geschützte vorerst für zwei Jahre ausgesetzt - diesen Status hat inzwischen das Gros der Syrer. Die Unionsparteien verständigten sich vor Wochen darauf, aus der zeitweisen Aussetzung einen Dauerzustand zu machen; die laufenden Sondierungen zwischen FDP, Grünen und der Union hängen in der Frage fest.

Doch das würde die protestierenden Familien in Griechenland und Deutschland nicht betreffen; das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat ihr Recht auf Familienzusammenführung längst bestätigt. Dennoch waren von den 4948 Personen, die in diesem Jahr nach Auskunft des Bundesinnenministeriums eine Erlaubnis des Bamf erhielten, im September erst 322 auch eingetroffen. Und die Dublin-Regeln im europäischen Asylsystem setzen zeitliche Limits: Familienzusammenführungen müssen innerhalb von sechs Monaten stattfinden. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums verwies auf Anfrage des Tagesspiegels jetzt darauf, dass man "aus humanitären Gründen" Familienangehörige aber auch außerhalb dieser Frist annehme. Im übrigen würden auch ältere Fälle aus dem letzten Jahr abgearbeitet, so dass die tatsächliche Zahl der Nachzüge nach Deutschland bis Ende Oktober bei 2176 Menschen gelegen habe. Dass die Überstellung lahme, liege am "enormen Koordinierungsaufwand und den teilweise begrenzten Unterbringungs- und Beförderungskapazitäten", die "einen längeren organisatorischen Vorlauf und eine enge Abstimmung mit der griechischen Asylbehörde" erforderten. Außerdem seien in der Feriensaison viele Flugplätze mit Touristen besetzt und die Personaldecke in Griechenland ausgedünnt.

Deutschland drängte Athen zu Langsamkeit

Die Gründe für den langsamen Nachzug syrischer Familien stellt sich allerdings in einem Brief anders da, den Griechenlands Migrationsminister Ioannis Mouzalas im Mai an seinen deutschen Kollegen Thomas de Maizière schrieb und den eine griechische Zeitung veröffentlichte. Daraus geht hervor, dass Deutschland anscheinend in Athen darauf drang, weniger syrische Familien nach Norden zu schicken. Mouzalas bestätigt darin, dass die Überstellungen nach Deutschland würden "wie verabredet, verlangsamt" würden, und schlägt eine Sprachregelung vor, damit Griechenland nicht als Verantwortlicher dieser Verzögerung dastehe, "da es tatsächlich nicht verantwortlich dafür ist".

Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl nennt den Deal, den den Brief erkennen lässt, rechtswidrig. Familiennachzug sei nach der Dublin-III-Verordnung "kein Gnadenakt, sondern die Betroffenen haben einen Rechtsanspruch". Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt sprach jetzt von einem "hartherzigem Rechtsbruch" der Bundesregierung, der beendet werden müsse.

Viel Aufregung, geringe Zahlen

So heftig das Thema Familiennachzug in der deutschen Politik diskutiert wird: In Zahlen ausgedrückt, ist es so groß gar nicht. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, das zur Bundesanstalt für Arbeit gehört, stellte kürzlich fest, dass es für die vermuteten hohen Zahlen keine Grundlage gebe. Während die AfD sogar mit vier angeblichen Nachzüglern pro anerkanntem Flüchtling operiert, ist selbst der Faktor 1:1, den das Bamf vor zwei Jahren nannte, noch fast viermal höher als die der Nürnberger Forschungsgruppe: Demnach wäre pro Flüchtling lediglich mit 0,28 Nachzüglern zu rechnen. Außerdem wird nicht nur in Griechenland das Recht, das Familienangehörige haben, in seiner Umsetzung oft gebremst: Wie die Bundesregierung im Oktober eingestand, hatten die zuständigen Konsulate und Behörden von 170.000 Visa, die sie demnach ausstellen mussten, 70.000 Anträge bis dahin nicht einmal angenommen.

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