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Soldaten der Fregatte Hessen bergen am 08.05.2015 im Mittelmeer 130 Seemeilen vor der italienischen Insel Lampedusa Schiffbrüchige von einem Boot.

© Bundeswehr/PAO Mittelmeer/dpa

Familiennachzug und Asylpaket II: "Schadet Flüchtlingen und höhlt den Rechtsstaat aus"

Flüchtlingshelfer und Juristen fürchten, dass das Asylpaket II den Familiennachzug für viel mehr als zwei Jahre aussetzt - und so noch mehr Menschen auf den Weg übers Meer zwingt.

Menschenrechtsorganisationen und Kenner des deutschen Asylsystems halten die jüngste Vereinbarung der Koalition zum Familiennachzug für juristisch ebenso heikel wie unnütz. SPD und Union hatten sich Ende letzter Woche darauf geeinigt, dass es beim Text bleibt, der bereits das Kabinett passiert hatte. Demnach dürfen auch die Eltern von Minderjährigen, die in Deutschland Schutz erhalten, zwei Jahre lang nicht zu ihren Kindern ziehen.

Die Koalition hatte den Familiennachzug im „Asylpaket II“ generell für alle ausgesetzt, die nur „subsidiären Schutz“ erhalten, also nicht individuell verfolgt werden, aber etwa aus Kriegsgebieten geflohen sind. Weil es dabei keine Ausnahmen für Kinder gibt, die allein nach Deutschland gekommen sind, hatte die Koalition nachverhandelt – mit dem Ergebnis, dass der Text bleibt. Für „besondere Härten“ gebe es immer noch Einzelfallprüfungen, erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).

 "Das Grundgesetz gilt ja weiter"

Dann allerdings müsse der Text der Koalitionseinigung auch um eine solche Härtefallklausel ausdrücklich ergänzt werden, meint der Berliner Anwalt und Migrationsrechtsexperte Bernward Ostrop. „Das Grundgesetz gilt ja weiter“ und in dessen Artikel  6 ist der Schutz der Familie festgeschrieben. Andernfalls müsse das Bundesverfassungsgericht diesen Punkt des Asylverfahrensgesetzes kippen. Ostrop, der für den Berliner Anwaltsverein die Flüchtlingsberatung am Flughafen Schönefeld koordiniert, fürchtet allerdings, die Regierung werde es darauf ankommen lassen. Bis Karlsruhe entscheide, könne schließlich viel Zeit vergehen.

Dieses bewusste Aussitzen, so Ostrop, „schadet aber nicht nur Flüchtlingen, sondern höhlt den Rechtsstaat insgesamt aus.“ Obwohl er als Anwalt immer zum Rechtsweg rate, werde da für die Betroffenen nicht mehr viel zu machen sein – zumal viele von ihnen über die lange Wartezeit volljährig werden und dann aus dem spezifischen Schutz für Kinder und Jugendliche herausfielen. „Ich erwarte, dass sich die Familien dieser Jugendlichen dann selbst auf gefährlichen Wegen nach Deutschland machen.“

 Verdopplung des Wartens auf die Familie?

Auch Tobias Klaus, Referent beim Bundesfachverband Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, erwartet von der Einzelfallprüfung, auf die die Koalition verweist, „unfassbar lange Verfahren, in denen die einen auf die Antworten der andern warten“. Schließlich seien stets Ausländerbehörden und Botschaften eingebunden, in heikleren Fällen auch die Innenministerien. Die Folge, meint auch er, werde nicht sein dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, sondern: „Mehr Eltern in die Boote“. Schon jetzt steige die Zahl der Frauen und Kinder, die unter großen Gefahren über die Ägäis nach Griechenland kämen. 

Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl hatte schon nach dem Kabinettsbeschluss darauf hingewiesen, dass die Wartezeiten auf den Familiennachzug schon jetzt sehr lang seien, die neue Frist werde ihn deutlich über die genannten zwei Jahre verschieben. Wegen der langen Verfahren erwartet das Deutsche Institut für Menschenrechte eine Verdopplung auf vier Jahre. Claudia Kittel, Leiterin der Monitoring-Stelle für die UN-Kinderrechtskonvention am Institut, sieht das Grundrecht auf Familie „ausgehebelt, wenn man es an eine Einzelfallprüfung knüpft“. Die neuerdings vorgeschriebene Verteilung unbegleiteter Jugendlicher im ganzen Bundesgebiet habe deren Verfahren sowieso weiter verlängert. „Wie viel Entfremdung von der Herkunftsfamilie dieses lange Warten bedeutet, kann man sich vorstellen“, sagt Kittel.

 Jugendliche schlagen sich selbst durch

Dabei kann schon ein Jahr Warten Grund genug sein, sich auf eigene Faust auf den Weg zu machen – nicht nur für die Eltern, sondern auch für ihre Kinder. Als vor zwei Wochen Europol Alarm schlug, weil 10.000 minderjährige Flüchtlinge in Europa unauffindbar waren, erläuterte Viviana Valastro, die Fachfrau für unbegleitete Jugendliche der Kinderhilfsorganisation „Save the Children“ in Italien im Gespräch mit dem Tagesspiegel die Lage. Wenn sie ihren jungen Schutzbefohlenen ehrlich antworte auf die Frage, wie lange sie warten müssten, bis sie zu europäischen Verwandten weiterdürften.

Die Dublin-Regeln für unbegleitete Jugendliche schrieben zwar vor, dass das innerhalb von zwei bis drei Monaten geschehen müsse. „Nur dauert das derzeit ein Jahr. Wenn sie uns fragen und wir ehrlich antworten, sagen sich die jungen Leute: Dann schlagen wir uns selbst durch.“

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