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Farbenspiele: Kuscheln und Kämpfen

SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier läutet das Wahljahr ein – mit einer Liebeserklärung an die FDP.

So soll es also werden, Frank-Walter Steinmeiers „nächstes Jahrzehnt“: Morgens mit der FDP flirten – und abends die Hohepriester des Neoliberalismus verprügeln. Zu anderen Zeiten hätte man das Dialektik genannt. Heute heißt das schlicht: Wahlkampf.

An diesem Freitag in Berlin und Hamburg will der Außenminister und SPD- Kanzlerkandidat ein Kunststück vollbringen: Kuscheln und Kämpfen. Einige seiner Sätze mittags im Haus der Bundespressekonferenz kann sich Steinmeier glatt aufheben – falls es so kommt, wie er es haben will: Dann wird der Bundesaußenminister sie einbauen können in seine Rede zur Amtsübergabe an Guido Westerwelle. „Als Außenminister ist jedes Wort, jeder Halbsatz ein Halbsatz für Deutschland, dem die Welt vertraut oder nicht vertraut“, sagt Steinmeier, als wolle er Westerwelle schon einmal auf den Ernst des Staatsamtes vorbereiten und als müsse er ihm die letzten Flausen der Spaßgesellschaft austreiben. Als Außenminister könne man keine Reformvorhaben „auf Bierdeckeln oder Schuhsohlen“ machen.

Für einige Momente an diesem Freitagmittag spielt Steinmeier eine neue Koalition, solch ein Bündnis hätte er gerne nach der Bundestagswahl im September. Stattgefunden hat es erst einmal bei der Vorstellung der Biographie über Westerwelle „ ...und das bin ich!“, geschrieben vom FAZ-Redakteur Majid Sattar. Warum Steinmeier das Buch vorstellen wollte? „Der Verlag hat mich gefragt, und die Gründe, die dagegen sprachen, waren nicht ausreichend“, sagt er und lacht.

Am Abend in Hamburg ist der Kumpelton dem des Wahlkämpfers gewichen – wenigstens ein bisschen. Mit „Mätzchen“ könne man im Wahljahr keine Punkte machen, es sei kein Jahr „für Schauspieler“, sagt er, ohne den mit Namen zu nennen, der er Stunden zuvor umgarnt hat. Unerträglich sei es, dass die, die den Staat ablehnten, nun herangekrochen kämen. Es ist Wahlkampfauftakt hier in der alten Hamburger Börse, über das „neue Jahrzehnt“ wollen sie diskutieren und über die Handlungsfähigkeit des Staates in der Finanzkrise. Durch 35 Orte touren Sozis in den kommenden Wochen durchs Land, um sich Mut zu machen in einem Wahljahr, das für die SPD und ihren Spitzenmann so schwer wird wie lange nicht. Wird Steinmeier endlich in die Offensive gehen, notfalls auch gegen die Kanzlerin?

In Westerwelles Biographie kommt Steinmeier auch vor. Er sei ein „Zufallsprodukt einer Wahl, die doch eigentlich ganz anders verlaufen sollte“, heißt es da. Westerwelle dagegen ist der, auf den alles zuzulaufen scheint. Nur tut es das schon einige Jahre, das Amt des Außenministers wollte bei ihm bisher einfach nicht ankommen. Steinmeier hätte nichts dagegen, dass sich das ändert, „allerdings nur in einer ganz bestimmten Konstellation“. Einige kritische Worte hat Steinmeier übrig. „Wer jetzt regieren will, muss sich beim Thema Markt vom Fundi zum Realo entwickeln“, sagt er, und ein Streitpunkt zwischen beiden werde bleiben: „Der Stellenwert der Steuerpolitik. Da sind Sie stur, das ist auf ihre lippischen Vorfahren zurückzuführen“, sagt Steinmeier, der ebenfalls aus der Gegend stammt.

In Hamburg kommt die Offensive nicht so recht in Schwung. Klar doch sei man offensiv, sagt er – und spricht von den Errungenschaften der großen Koalition. Vom Sozialen in der Marktwirtschaft, das es in der Krise zu bewahren gelte, von der Maßlosigkeit der internationalen Finanzmärkte, von „Substanz und Ernsthaftigkeit“, von „Vernunft und Verantwortung“. Viele der rund 500 Gäste schauen auf die Uhr.

War es eine gute Idee, ausgerechnet die Hansestadt als Ort für den Wahlkampfbeginn gewählt zu haben? In der Stadt Helmut Schmidts, Klaus von Dohnanyis und Henning Voscheraus hat sich schon im vergangenen Jahr das ganze Dilemma der Roten abgespielt, das das „nächste Jahrzehnt“ für die Partei so schwierig macht.

Die bürgerlichen Wähler wegen des unklaren Kurses zur Linkspartei verprellt, die Stammwähler vom Intellektuellen- Charme des Spitzenkandidaten nicht angesprochen, die Wechselwähler ohne Lust, den Regierungschef im Land überhaupt abzuwählen: Die Parallelen vom damaligen Wahlverlierer Michael Naumann zu Frank-Walter Steinmeier liegen auf der Hand, und sie bleiben es, auch nach seiner Rede. Wie will die Partei wirklich die nächsten Wahlen überstehen, die absehbaren Desaster bei der Bundespräsidenten- und bei der Europawahl, die von den schwarz-gelben Wahlstrategen herbeigesehnten rot-roten Verlockungen im Saarland und in Thüringen? Wie soll das gehen mit einem kurzen Wahlkampf im Sommer aus der Regierung heraus, der eine andere Botschaft enthalten soll als „wir wollen weiter an der Regierung bleiben“?

Antworten auf diese Fragen bleibt Steinmeier an diesem Tag schuldig – und auch um die Kernfrage mogelt sich der Außenminister herum: Die Westerwelle- FDP und ihre Truppen abends als Verantwortliche für die Finanzkrise verteufeln, obwohl man sie dringend braucht für den Traum von der Ampel – diese Spannbreite scheint zu groß für den Kanzlerkandidaten.

Wie hatte es am Mittag Guido Westerwelle gesagt, als er sich für eine „fast beängstigend freundliche Buchvorstellung“ bedankte? Er wolle weiterhin eine Regierung mit bürgerlicher Mehrheit. Und welche besonderen Aufgaben die parlamentarische Opposition habe, „das werden Sie ja vielleicht auch noch feststellen“.

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