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Befreiung Betancourts

© dpa

Farc-Geiseln: Eine Befreiung mit vielen Geschichten

Auch Tage nach der Rettung von Ingrid Betancourt in Kolumbien halten sich die Gerüchte um einen Freikauf. Angeblich soll die kolumbianische Regierung den Rebellen rund 20 Millionen US-Dollar für die Freilassung der Geiseln gezahlt haben.

Eine Woche nachdem Kolumbiens Regierung die Befreiung von Ingrid Betancourt verkündet hat, mischen sich immer mehr Zweifel in die Anfangsfreude. Die spektakuläre Aktion wird infrage gestellt, und es wird gemutmaßt, ob die Regierung den Rebellenchefs nicht doch eher Millionen für die Geiseln gezahlt hat.

Diese Version schreibt Bogota „Neidern aus dem kühlen Europa“ zu – und meint damit den Schweizer Vermittler Jean Pierre Gontard. Er ist wegen seiner Nähe zur Farc und Lösegeldzahlungen an die Guerilla in Millionenhöhe bei der Regierung in Ungnade gefallen. Die kürzlich bei einer Offensive auf ein Rebellencamp erbeuteten Computer der Farc hatten dies enthüllt. Uribe übermittelte der Schweiz sein Unbehagen, erlaubte aber kurz vor der Geheimdienstaktion noch ein Treffen Gontards mit einem französischen Emissär einem Vertreter von Farc-Chef Alfonso Cano.

Dabei ging es Medienberichten zufolge um die bedingungslose Freilassung einiger Geiseln. Ein solcher Erfolg internationaler Vermittler wäre ein Rückschlag für Uribes Politik der harten Hand gewesen. Der aber spielt mit dem Gedanken an eine Wiederwahl und brauchte einen Erfolg, auch weil er wegen Kontakten zu Paramilitärs und angeblichem Stimmenkauf bei der Verfassungsreform in der Kritik stand. US-Präsident George W. Bush wiederum war daran gelegen, vor Ende seiner Amtszeit drei in Kolumbien entführte US-Söldner freizubekommen. Als die Aktion stattfand, war dann sogar der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain in Kolumbien.

Auf Betreiben Washingtons habe die Zahlung an die Farc-Kommandeure stattgefunden, meldete ein Schweizer Sender – wobei die genannten 20 Millionen Dollar sehr niedrig erscheinen für eine Guerilla, die Millionen am Drogenhandel verdient. Er habe der Farc für die Freilassung der Geiseln schon 100 Millionen geboten und sei immer auf Ablehnung gestoßen, sagte Verteidigungsminister Juan Manuel Santos. Andererseits sicherte Uribe kürzlich Deserteuren, die Geiseln übergeben würden, Geld und straffreies Exil zu. Betancourts Ex-Ehemann Fabrice Delloye, ein französischer Diplomat, wollte die Version vom Freikauf der Geiseln deshalb nicht ganz von der Hand weisen, warnte aber, es gebe dafür keine Beweise.

Dass die Regierung die Farc infiltrieren ließ und die Geiseln durch eine vorgetäuschte humanitäre Mission befreite, hört sich zwar abenteuerlich an, ist aber zumindest bildlich besser belegt: Es gibt ein Video, das während der Aktion von einem Filmteam gedreht wurde. Als die beiden Rebellen im Hubschrauber überwältigt wurden, sei ihr Blick voller Hass gewesen, sagte Betancourt am Montag. „Sechs Jahre lang hat mich ,Gafas‘ gequält, ich kenne ihn sehr gut. Er hat nicht gespielt, aber vielleicht hat ein Vorgesetzter Geld bekommen.“

Dieser Vorgesetzte ist der lokale Farc-Kommandeur Cesar, ein, wie die Wochenzeitung „Semana“ schreibt, ideologischer Hardliner, eitel und ehrgeizig. „Semana“ glaubt nicht an Geldzahlungen an Cesar: Der von der Regierung eingeschleuste Agent habe seinem Ego geschmeichelt, indem er Cesars Arbeit im Namen von Farc-Chef Cano lobte und ihm die „wichtige Aufgabe der Überführung der Geiseln durch eine französische humanitäre Organisation“ anvertraute.

Dass die USA Bogota halfen, gilt aber als sicher. Selbst Verteidigungsminister Santos räumte „technische Unterstützung“ aus Washington ein, und ein US-Aufklärungsflugzeug habe die Operation beobachtet. Was den israelischen Geheimdienst Mossad betrifft, meldeten zumindest israelische Medien eine Beteiligung bei der Planung der Befreiung.

Auch über Betancourts Gesundheitszustand wird spekuliert, geht es ihr doch offenbar viel besser als die letzten Fotos aus der Zeit ihrer Geiselhaft vermuten ließen. Betancourt sagt, es sei ihr sehr schlecht gegangen. Doch ein entführter Militärkrankenpfleger habe sie wieder aufgepäppelt. Dünn ist sie noch immer, aber die Freude überstrahlte wohl die Erschöpfung. Ähnlich war es ihrer Freundin Clara Rojas bei deren Freilassung im Januar gegangen – obwohl sie als Geisel eine Schwangerschaft und einen prekären Kaiserschnitt über sich hatte ergehen lassen müssen.

Betancourt will sich jetzt für die Freilassung der übrigen Geiseln einsetzen und schließt eine erneute Präsidentschaftskandidatur nicht aus. Mittelfristig sei sie eine „strategische Reserve der kolumbianischen Demokratie“, sagt der Militäranalyst Alfredo Rangel. Ihr Aufruf an Ecuador und Venezuela, die Bemühungen zur Freilassung der Geiseln tatkräftig aber ohne Einmischung in Kolumbiens Politik zu unterstützen und ihr Appell an Uribe, seine extremistische Wortwahl zu mäßigen, lassen vermuten, dass dem Präsidenten eine gewichtige Gegenspielerin erwachsen könnte.

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