zum Hauptinhalt
Westerwelle

© dpa

FDP: Die liberale Psyche

Während die SPD über ihren neuen Linkskurs streitet, kämpft die FDP um ihre Daseinsberechtigung. Welchen Weg wollen die Liberalen gehen?

Von Antje Sirleschtov

Es gibt Leute, die wissen alles besser. Guido Westerwelle ist so einer. Die Umfrageergebnisse seiner Partei sind nicht gut. Die Stimmung in seiner Partei auch nicht. Und trotzdem strahlt Westerwelle. Wie aus dem Ei gepellt sitzt er in seinem Bundestagsbüro mit Reichstagsblick. Dunkler Anzug, weißer Kragen, kein Stäubchen am Schuh, kein Gramm zu viel am Bauch. Schlechte Stimmung bei der FDP? „Wir stehen so gut da wie schon lange nicht mehr.“

Es gibt Leute, die können das kaum noch ertragen. Dieses Stakkato, in dem der Parteichef Politik betreibt. Das Unmaß, mit dem er lautstark sich selbst zum Zentrum erhebt und Andersdenkende wahlweise zu „Kommunisten“, „Lügnern“, „Lurchträgern“ oder „Gutmenschen“ degradiert. Diese Leute gibt es neuerdings überall in der FDP, in den Ortsvereinen, im Parteivorstand und auch in der eigenen Bundestagsfraktion.

Es gibt aber auch Leute, die mahnen zur Gelassenheit, verteidigen Westerwelle sogar. Nicht, weil sie gut und glaubwürdig finden, was er tut. „Nein“, sagen sie, „das bestimmt nicht“. Aber man habe ja keinen anderen.

All diese Leute zusammen sind die Freie Demokratische Partei. Eine Partei, die seit zehn Jahren auf der Berliner Oppositionsbank festsitzt. Eine Partei, der man vorwirft, sie sei inhaltlich erstarrt, klebe bis heute im Neoliberalen fest. Und spätestens seit den Wahlen in Hamburg und Hessen fragen sich viele, wozu diese Partei überhaupt noch zu gebrauchen ist. Jetzt, wo mit fünf Parteien in deutschen Parlamenten zu rechnen ist. Jetzt, wo nicht nur Schwarz-Rot oder Rot-Grün geht, sondern auch Schwarze und Grüne gemeinsam regieren können.

Gut 18 Monate noch sind es bis zur Bundestagswahl – und die FDP weiß nicht so recht, wo es mit ihr hingehen soll. Weiter im Windschatten der Union zu segeln, das wird schwierig. Schließlich hat Westerwelle mit diesem Kurs die FDP ins Abseits getrieben. Also sich öffnen, zur SPD oder den Grünen– den Parteien, die Westerwelle so erbittert bekämpft? Oder doch ganz und gar auf Eigenständigkeit setzen, sich mit liberalen Positionen in einer Art Äquidistanz zu den Volksparteien präsentieren? Das zumindest ruft bei vielen Liberalen unschöne Erinnerungen an Container und bemalte Schuhsohlen wach. Denn Eigenständigkeit hat seit 2001 einen Namen, und der hat keinen guten Klang: „Das Projekt 18“.

Mehr als 200 Männer und auch ein paar Frauen aus der FDP sind ins Mainzer Favorite-Hotel gekommen. Draußen regnet es in Strömen, kein einladendes Wetter für einen Vortrag zum Thema „Freiheit und Fairness“. Trotzdem ist der Saal so voll, dass zusätzliche Stühle herangeschleppt werden müssen. „Wir wollen Argumente statt Parolen“, ruft ein älterer Herr, kurz bevor Wolfgang Gerhardt ans Rednerpult tritt. Gerhardt spricht von den „tieferen inneren Werten des Liberalismus“, von „Anständigkeit und Bildung“, von „Freiheit als Haltung statt Programm“. Er redet noch keine zehn Minuten, als im Publikum die ersten „Jawolls“ und „Recht hat er“ zu hören sind. Später tupft eine ältere Dame mit Taschentüchern gegen das Verlaufen ihrer Wimperntusche an. Am Ende ermuntern sie Gerhardt mit heftigem Applaus, für den nächsten Bundestag zu kandidieren. „Wir brauchen dich, Wolfgang“, sagt ein sichtlich bewegter Parteifunktionär.

Treue Anhänger hat die FDP hier in Rheinland-Pfalz, wo sie lange Zeit mit den Sozialdemokraten regiert hat. Übrigens genauso wie in Gerhardts hessischer Heimat, wo die FDP „natürlicher Partner der CDU“ ist und heilige Eide darauf schwört, niemals mit den Sozis zu regieren. Hier wie dort trauern die Liberalen der guten alten Zeit nach. Als ihre Partei noch Bannerträger des freiheitlichen deutschen Bürgertums und der aufgeklärten Arbeiterschaft war. Kämpfer für Chancengleichheit, Miteinander und Fairness. Eine Partei, ohne die das deutsche Wirtschaftssystem – eines der weltweit erfolgreichsten – nicht vorstellbar ist. Die Partei von Walter Scheel, von Otto Graf Lambsdorff und Hans Dietrich Genscher, der die Botschaft der Freiheit 1989 sogar bis nach Prag und Moskau trug. Jahrzehntelang haben liberale Politiker der FDP dieses Land geprägt.

Viel ist nicht mehr übrig geblieben von den großen Werten. Keiner weiß das besser als Wolfgang Gerhardt, der so gut wie jedes Spitzenamt in der FDP innehatte und dann 2005 handstreichartig von Westerwelle an die Spitze der Friedrich-Naumann-Stiftung abgeschoben wurde. Dort sinnt Gerhardt nun darüber nach, wie es dazu kommen konnte, dass seiner traditionsreichen liberalen Partei nur noch das Image eines straff von oben regierten Buchhaltervereins anhaftet. Gefühllos gegenüber denen, die nicht auf der Siegerseite des Lebens stehen.

Gerhardt hat eine Botschaft – und die will er bis zum Jahresende in einer wallfahrtsähnlichen Lesung quer durchs Land verbreiten. Wenn die Menschen Angst haben, sagt er, weil internationale Superkonzerne ihre Jobs wegrationalisieren und Osteuropäer die Arbeit für einen Hungerlohn machen, „dann reicht es nicht, auf ein niedriges, einfaches und gerechtes Steuersystem im FDP-Programm hinzuweisen“. Niemand erwarte von einem solchen Steuersystem Hilfe, allenfalls noch mehr Steuerentlastungen für Reiche. Da kann die FDP-Zentrale mit noch so vielen Tabellen dagegen argumentieren. Je tiefer sich die Sorge vor dem sozialen Abstieg auch in bürgerliche Schichten der Gesellschaft frisst, umso weniger glaubwürdig erscheinen die Thesen der Liberalen. In Hamburg haben massenhaft selbstständige Unternehmer Grün gewählt, und nicht die FDP. Wenn das kein Alarmzeichen für eine Mittelstandspartei ist.

Manchmal ist Johannes Knewitz richtig neidisch auf die Grünen. Knewitz ist 25 Jahre alt, studiert Geschichte und Jura und sitzt ganz allein für die liberale Hochschulgruppe im Senat der Universität in Mainz. Er ist also ein Stück Zukunft für seine Partei. Nur hat er gegen die Übermacht der Grünen keine Chance. Obwohl man sich inhaltlich oft einig ist. Unter den Studenten gelten die Grünen genau wie die FDP als unangepasst, freiheitlich, liberal orientiert. Allerdings mit einem Unterschied: „Die Grünen findet man sympathisch“, sagt Knewitz. Sie werden gewählt. Die FDP nicht.

Es sei immer das Gleiche: Ob er nun zu den Umweltaktivisten geht, sich für Gleichstellungspolitik, Integrationsthemen oder Kinderbetreuung einsetzt – die Grünen sind schon da. Sie betreiben Foren, Aktionstreffen, Themenseminare, organisieren Selbsthilfe für Studenten mit Kindern und gehen abends auch noch gemeinsam ein Bier trinken. „So einen Zusammenhalt, der bis ins Private hineingeht, den gibt’s bei den Liberalen einfach nicht“, klagt Knewitz. Grün zu sein, ist für viele eine Lebenseinstellung. In die FDP einzutreten dagegen nur ein Karriereschritt.

Warum das so ist, und warum staatskritische Antworten auf die gesellschaftliche Fragen bei den Menschen nicht mehr ankommen – das ist es, was die Partei herauszufinden versucht. Zumal gerade jetzt, wo das Land nach links driftet, für viele liberale Alternativmodelle attraktiv sein müssten. Und an programmatischen Inhalten mangelt es der SPD nicht, ganz gleich, ob es um die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme geht oder die Chancen der Kinder auf einen guten Schulabschluss geht.

„Was uns fehlt“, so lautet die Überschrift eines Thesenpapiers von Philipp Rösler, das Antworten auf die Sinnfrage seiner Partei geben soll. Eines von vielen Papieren, die dieser Tage in der FDP-Führung geschrieben werden. Von jungen Hoffnungsträgern wie Rösler, der mit 35 Jahren jüngstes FDP-Führungsmitglied ist. Und von Altgedienten wie Wolfgang Gerhardt.

Ihr Fazit ist ähnlich: Der FDP fehle „eine Vision“, die Vision einer Bürgergesellschaft. Mut machen soll diese Gesellschaft, mahnt der FDP-Denkerkreis und rät, künftig das Wort „Reform“ lieber totzuschweigen. Weil „Reform“ seit der Agenda 2010 mit Wegnehmen und Kürzen assoziiert wird. Da sei es nicht verwunderlich, dass die Menschen der FDP kein Vertrauen entgegenbringen. Schließlich fordere die Partei beinahe täglich noch mehr und noch härtere Reformen.

Sonntagabend hat Guido Westerwelle den engsten Führungskreis zur „StrategieKlausur“ in die Berliner Parteizentrale geladen. Allerdings geht es nicht um ein neues Grundsatzprogramm – entrümpelt von all den technokratischen Begriffen, die nach Kürzen von Sozialleistungen und Gürtel-enger-schnallen klingen. Nein, Westerwelle weiß es besser und so erläutert er den FDP-Oberen seinen Wahlkampfkurs: Eigenständigkeit gegenüber SPD und CDU und das FDP-Image als marktwirtschaftliches Gewissen des Landes stärken.

Bis zur Wahl ist es zwar noch eine Weile hin. Vor dem Reichstag wurde jedoch schon ein nagelneuer VW-Bus gesehen, in den Farben gelb und blau. „Für die Freiheit“ steht drauf geschrieben. Ein wenig erinnert der Bus für Ausflüge der FDP-Abgeordneten ins flache Land an einen Gefährten aus eigentlich vergangener Zeit – an das Guidomobil.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false