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FDP-Vorsitzender sein könnte schwerer werden, als sich Philipp Rösler das vielleicht gedacht hatte.

© dpa

FDP-Führung: Aufbruchsverstimmung

Alle Macht den Jungen: Davon hatte das Trio Rösler, Lindner, Bahr geträumt. Aber sie hatten die Rechnung ohne die Alten gemacht. Weshalb der große FDP-Neubeginn auf halbem Wege stecken blieb.

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Der Mann, dem die Liberalen ihr Schicksal in die Hände legen, versucht es durch die Hintertür. Dienstagmittag im Reichstag, Saal 2 N 024. Das FDP-Präsidium kommt mit den Landesvorsitzenden zusammen. Es geht um die Frage, welcher neue Parteichef die FDP aus der Existenzkrise führen kann. Es geht um Philipp Rösler.

Guido Westerwelle, Hermann Otto Solms, Cornelia Pieper – ein Spitzen-Liberaler nach dem anderen marschiert an den Kameras vorbei zum Haupteingang. Nur der schmale Gesundheitsminister nimmt den Weg neben der kleinen Teeküche. Bloß kein Aufsehen, nur keine Journalistenfragen, bevor auch formal alles entschieden ist. Vorsicht hat noch keinem geschadet. Philipp Rösler ist mit diesem Prinzip lange gut gefahren. Bisher.

Es ist ein harter Weg an die Spitze der FDP. Und er wird auch dadurch nicht leichter, dass die feuerrote Hintertür zum Saal 2 N 024 an diesem für die FDP und Rösler so wichtigen Dienstag leider zugesperrt ist. Auch wenn Rösler noch so fest an der Klinke rüttelt. Der Minister muss umdrehen und doch den anderen Eingang nehmen. Man darf das durchaus als Sinnbild verstehen.

Philipp Rösler, 38 Jahre alt , glücklicher Ehemann, Vater von zweijährigen Zwillingstöchtern und Besitzer eines Hauses bei Hannover, wird der nächste Vorsitzende der Freien Demokratischen Partei Deutschlands. So viel steht schon vor Beginn der Beratungen fest. Fest steht aber auch: Rösler hat sich die Sache anders vorgestellt. Irgendwie einfacher.

Rösler glaubte, wenn er FDP-Chef und Vizekanzler würde, könne er das schwierige Gesundheitsressort gegen das Wirtschaftsministerium tauschen. Gute Stimmung verbreiten, statt schlechte Nachrichten über Zuzahlungen oder Medikamentenpreise bekannt zu geben – das war sein Plan. Leider ist er nicht aufgegangen. Rösler weiß das, spätestens seit sich am Abend zuvor alle möglichen Gremien und Zirkel der FDP beraten und abgestimmt haben.

Montagabend, um acht Uhr in der Parlamentarischen Gesellschaft gegenüber dem Reichstag. Die Landesgruppe der nordrhein-westfälischen FDP-Abgeordneten trifft sich. Das ehemalige Palais des Reichstagspräsidenten mit seinem gediegenen Ambiente ist der ideale Ort für diskrete Beratungen. Doch die Stimmung unter den Abgeordneten ist gedämpft, wie sich ein Teilnehmer erinnert.

In der wichtigsten Landesgruppe der Liberalen spielen zwei Politiker eine entscheidende Rolle. Es sind Daniel Bahr, der FDP-Landesvorsitzende und Staatssekretär in Röslers Gesundheitsministerium, und Christian Lindner, der Generalsekretär der Bundespartei. Wie Rösler haben sie vom großen Umbruch an der Parteispitze geträumt, wollten nach Westerwelles Teilrückzug auch den Rücktritt von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Fraktionschefin Birgit Homburger erreichen.

Jetzt muss Bahr vor den Abgeordneten aus NRW erklären, dass aus dem großen Aufbruch nur ein kleiner Schritt wird: Auch als Parteichef bleibe Rösler Gesundheitsminister, da Brüderle nicht weichen wolle. Und auch Fraktionschefin Homburger, unter der viele Parlamentarier leiden, werde ihr Amt behalten. Sehr nachdenklich wirkt Bahr auf seine Zuhörer, als er die Nachricht verkündet.

Vielen in der NRW-Landesgruppe gefällt nicht, was sie hören. Und manche empört es. Der neue Parteichef müsse doch das erste Zugriffsrecht haben, poltert ein Abgeordneter. Bahr wiegelt ab: Ein Zugriffsrecht müsse eingeräumt werden, argumentiert er: Das könne man sich nicht einfach nehmen. „Was sollen wir denn machen?“, fragt Bahr in die Runde. Schweigen. Spätestens jetzt ist allen klar: Die jungen Milden sehen keine Möglichkeit, gegen die kämpferischen Alten eine Mehrheit zu organisieren. Doch in der Öffentlichkeit soll niemand merken, dass der Aufbruch auf halbem Wege stecken geblieben ist. Man möge die Lösung doch bitte „positiv nach außen tragen“, bittet Bahr.

Während die einen schon kapitulieren, rüsten sich die anderen noch zur Schlacht. Die südwestdeutschen Abgeordneten kommen am Montagabend in der Landesvertretung Baden-Württemberg am Tiergarten zusammen. Die Zusammenkunft dient nur einem Zweck: Man versichert sich gegenseitig, dass man Homburger und Brüderle unter keinen Umständen fallen lassen werde. Einen kalten Putsch aus dem Norden, der auf Kosten der eigenen Landesgruppe geht, will man nicht hinnehmen. „Es kann doch nicht sein, dass erfahrene und erfolgreiche Politiker aus dem Amt gedrängt werden“, sagt ein Abgeordneter.

Auch die alte Garde der Liberalen wittert immer noch Unheil. Kurz nach zehn treffen sie sich in der Kellerbar der Parlamentarischen Gesellschaft beim „Ossi“. Mit dabei sind unter anderen Ex-Parteichef Wolfgang Gerhardt, der Finanzpolitiker Hermann Otto Solms, der Sozialexperte Heinrich Kolb. Bei Bier und Wein versichert man sich gegenseitig Standhaftigkeit gegenüber den Ansprüchen der Jungen: Es dürfe auf keinen Fall dazu kommen, dass sich große Teile der Partei in der Führung in Zukunft nicht mehr vertreten fühlten.

Der Mann, der Rösler und seinen Freunden Lindner und Bahr den einfachen Weg verbaut hat, kommt durch die Vordertür. Dienstagmorgen im Reichstag, der Arbeitskreis II der FDP-Fraktion tagt. Knapp eine Stunde lang reden die Abgeordneten über Verbraucherschutz, sie haben einen prominenten Gast. Nach der Sitzung tritt Rainer Brüderle vor den Saal. „Auch an einem Tag wie diesem mache ich meinen Job“, sagt er. Der Minister trägt einen dunklen Anzug und eine Krawatte im strahlenden Blau der FDP. Unter dem Arm hat er eine Ledermappe mit eingeprägtem Bundesadler.

Brüderle ist natürlich viel zu klug, weitere Worte über seinen Triumph zu verlieren. Sonst würden ihn ja auch nicht so viele unterschätzen. Jahrzehnte seines Lebens hat der Pfälzer in Parteisitzungen verbracht. Er weiß, wie man Mehrheiten zimmert – und wie man sie verhindert. Man kann sich gut vorstellen, was in diesem Moment in ihm vorgeht. Für einen so gewieften Gremienpolitiker sind Rösler, Lindner und Bahr nichts weiter als ein paar Jungspunde, die noch viel lernen müssen. Zum Beispiel, dass man sich die Macht nehmen muss und nicht darauf warten darf, dass sie einem geschenkt wird. Er jedenfalls schenkt sie ihnen nicht.

Genießen und schweigen – für Brüderle geht der Tag so weiter, wie er begonnen hat. Als um halb eins das Präsidium der Liberalen mit den Landesvorsitzenden zusammenkommt, steht sein Posten schon lange nicht mehr zur Disposition. Überhaupt wird hinter verschlossenen Türen lange Zeit gar nicht über Personalfragen gesprochen. Vielmehr geht es um Vergangenheitsbewältigung. Etliche Landesvorsitzende reden über die Ursachen der Wahlniederlagen, andere beklagen das Bild, das die eigene Partei in der vergangenen Woche geboten habe, von Selbstzerfleischung ist die Rede. Erst ganz am Schluss ergreift auch Rösler das Wort und erklärt, was alle schon wissen: Er kandidiert. „Mit großer Geschlossenheit“ wolle er die Partei führen. Viel mehr ist vom ihm, der als 13. Bundesvorsitzender der Liberalen Guido Westerwelle ablösen soll, in dieser Sitzung nicht zu erfahren. Aber die Botschaft kommt trotzdem an: Wer jetzt Geschlossenheit predigt, wird keinen Machtkampf gegen Brüderle und Homburger riskieren.

Als dann der Vorstand der Partei gemeinsam mit der Fraktion tagt, steht noch einmal der Mann im Mittelpunkt, der von Machtpolitik vielleicht mehr versteht als jeder andere im Saal, der mit dieser Machtpolitik aber auch gescheitert ist: Guido Westerwelle. Gleich zu Beginn applaudieren sie ihm, minutenlang geht das so. Bis sogar ihm, der sein Seelenleben über all die Jahre so gründlich imprägniert hat, dass meist keiner weiß, wie es ihm wirklich geht, die Tränen in die Augen treten.

Und Rösler? Der neue FDP-Chef gibt sich alle Mühe, den Eindruck zu zerstreuen, er habe nicht beherzt genug nach der Macht gegriffen. Dazu erzählen seine Leute vor den Türen im Reichstag eine schöne Geschichte. Sie handelt vom tapferen Philipp Rösler, der Westerwelle am Sonntag den Posten des Vizekanzlers abgerungen hat, am Telefon. „Ich will das haben“, soll Rösler knallhart gesagt haben. Und das Gesundheitsministerium? Das Ressort sei für den künftigen Vizekanzler keineswegs ein Klotz am Bein, da es längst auf ihn zugeschnitten sei, wird nun verbreitet. Auf etliche Parteifreunde macht das alles freilich wenig Eindruck. Sie sehen nicht, was der Neue erreicht hat, sondern, was er nicht erreicht hat. „Rösler geht mit einer Niederlage ins Amt“, sagt ein erfahrener Parteigänger.

In Zukunft wird Philipp Rösler also als Gesundheitsminister, Vizekanzler und FDP-Chef im Bundestag in der ersten Reihe der Regierungsbank sitzen. Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihr muss er nun Paroli bieten, muss seine FDP im Zweifel mit begrenzten Konflikten wieder sichtbar machen. Profilieren heißt das in der Sprache der Politiker.

Die Nacht vor der Bekanntgabe seiner Kandidatur hat Philipp Rösler im Gesundheitsministerium in der Friedrichstraße übernachtet, auf dem Feldbett im Nebenzimmer seines Büros. Das macht er immer, wenn es am Abend so spät geworden ist, dass sich die Fahrt nach Hannover nicht mehr lohnt. Er steht dann um 6 Uhr 15 auf, frühstückt kurz und stürzt sich sofort in die komplizierte Welt der Gesundheitspolitik. Daran wird sich nun so schnell nichts ändern. Nur dass jetzt noch die komplizierte Welt der FDP dazukommt. Womöglich wird 6 Uhr 15 in Zukunft nicht mehr genügen.

Mitarbeit Rainer Woratschka

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