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FDP: Ultimatum für Westerwelle

Er hat die Partei nach seinem Muster geformt und ein unheilvolles System geschaffen. Nun fällt der Absturz der FDP auf ihren Chef zurück. Guido Westerwelle muss sich ändern, damit sich etwas ändert. Ihm wird bereits ein Ultimatum gesetzt.

Von Antje Sirleschtov

Es ist Dienstagnachmittag, und Guido Westerwelle ist ganz allein. Nicht, dass keiner um ihn herum wäre. Proppenvoll ist es im großen Protokollsaal des Reichstags. Es wimmelt nur so von Abgeordneten der FDP, von Mitarbeitern der Fraktion und der Partei. Vom Eingang her drängelt sich Christian Wulff durch die Reihen, er trägt einen Anzug in unauffälligem Braun, er lächelt.

Wulff will in zwei Wochen zum Bundespräsidenten gewählt werden. Er ist der Kandidat der Bundeskanzlerin, und er weiß genau, was sich gehört. Da vorn im Saal steht Guido Westerwelle neben seinem Stuhl. Westerwelle ist Vizekanzler, er ist der Außenminister Deutschlands und auch der Vorsitzende der FDP. Er hat genickt, als ihn Angela Merkel über die Kandidatur Wulffs für das höchste Staatsamt informierte. Ein bisschen zu schnell für den Geschmack vieler Liberaler, die sich gar nicht gern als Abnickverein der CDU-Kanzlerin sehen. Jetzt jedoch geböte es erst einmal die Etikette, dass Wulff, ohne zu zögern, Herrn Westerwelle die Hand schüttelt. Doch der Kandidat lässt sich Zeit, sehr viel Zeit. Immer wieder beugt er sich zur Seite, spricht mit diesem, reicht jenem die Hand. Selbst als er fast neben Westerwelle steht, lässt er sich noch auf ein ausführliches Gespräch mit einem FDP-Hinterbänkler ein.

Guido Westerwelle steht noch immer wie angewurzelt neben seinem Stuhl. Er sagt kein Wort, niemand spricht ihn an. Er steht am Rand.

Acht Monate ist es her, als derselbe Mann auf dem Höhepunkt seiner Karriere war. Strahlend und stolz stand er am Abend des 27. September in einem jubelnden Meer seiner Parteifreunde und Anhänger und reckte die Arme empor. Er hatte seine Partei geformt, er hatte ihr Richtung, politische Botschaft und ein Gesicht gegeben. „Mehr Netto vom Brutto“ und ein „einfaches, niedriges und gerechtes Steuersystem“ hatte er versprochen. Und sagenhafte 14,6 Prozent der Wähler hatten ihm geglaubt. Aus dem belächelten „Leichtmatrosen“ war ein Sieger über die Zweifler, Verächter und die Spießer geworden. Guido Westerwelle und Michael Mronz – plötzlich konnte sogar ein Homosexueller Außenminister werden. Nirgends ein Liberaler, der in jenen Tagen ein schlechtes Wort über den Vorsitzenden verlor.

Und jetzt, ein halbes Amtsjahr, eine Hotelsubvention, eine „spätrömische Dekadenz“ und eine krachend verlorene Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen später? Wütende Briefe und Mails erreichen die FDP aus dem ganzen Land. Anhänger, Wähler der Liberalen werfen dem Parteivorsitzenden großspurige Auftritte vor. Schuld sei zuallererst er daran, dass die schwarz-gelbe Koalition ein so jämmerliches und zerstrittenes Bild abgibt. Und die FDP nur noch ein egozentrischer Haufen ist mit nichts anderem als den eigenen Posten im Sinn. Von wegen „geistig-politische Wende“ und Entlastung der arbeitenden Bevölkerung, der Mittelschicht, die ihnen Westerwelle versprochen hatte. Nichts außer Worten ist geblieben. Fünf Prozent in den Umfragen, die FDP nahe an der Bedeutungslosigkeit. Und Austritte en masse.

Mit müden Augen und hängenden Schultern sieht man den Strahlemann der FDP von einst dieser Tage durch die Flure des Reichstags gehen. Mechanisch, ja antriebslos steht der Außenminister Westerwelle vor Kameras und sagt Sätze, die die Welt nicht bewegen. Und „Micky“, der Mann an seiner Seite, dem er vertraut, den er fröhlich mit auf Auslandsreisen nahm? Dienstagnacht, zum großen Zapfenstreich, dem Abschied von Horst Köhler aus dem Präsidentenpalais Bellevue: Keiner unter den Gästen war ohne Begleitung gekommen. Selbst Herr Sauer, der medienscheue Ehemann der Kanzlerin, saß neben seiner Frau. Nur der Außenminister, der war mal wieder allein. Einsam saß er in Reihe eins.

Wie er das alles verkraftet, die Häme, die Wut, die Kritik von allen Seiten? Schulterzucken überall, wo man Leute trifft, die ihm nahestehen. Fertig, überfordert mit der Situation, „ausgebrannt“, sagt ein Altgedienter. Doch Genaueres, das weiß selbst er nicht. Selten die Kontakte im Augenblick, und wenn, dann ohne ein persönliches Wort. Sein Zustand wie damals, als Jürgen Möllemann in den Tod sprang und die Frage aufkam, ob er, Westerwelle, dieses tragische Ende hätte sehen, ja verhindern können? Vielleicht.

Im Thomas-Dehler-Haus, der FDP- Zentrale in der Berliner Reinhardtstraße, haben sie Anfang dieser Woche die Augenbrauen hochgezogen und tief durchgeatmet. Spätestens seit die Kanzlerin Anfang Mai mit einem Federstrich das inhaltliche Zugpferd der FDP, die Senkung von Steuern für die arbeitende Bevölkerung, vom Tisch gewischt hat, ist ihnen klar geworden, was auf dem Spiel steht. Nächstes Jahr stehen in nicht weniger als acht Bundesländern Wahlen an und keiner weiß, warum er sich noch für die FDP entscheiden sollte. Verzweiflung. Wut auf Westerwelle. Diesen Samstag will der Kreisverband Limburg-Weilburg beim hessischen Landesparteitag sogar einen Sonderparteitag im Herbst beantragen. Einziger Tagesordnungspunkt: die Abwahl des Vorsitzenden Guido Westerwelle.

Möglich, dass er diesen Antrag unterstützen wird, ließ der Hessen-Chef der FDP, Jörg-Uwe Hahn, die Spitze in Berlin zunächst wissen. Hahn kennt Westerwelle seit der Zeit, als sie Jungliberale waren. Mit seiner schwarz-gelben Standhaftigkeit, als ihn die hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti 2008 zu einer Ampelkoalition überreden wollte, glaubte sich Hahn einen sicheren Sitz im Parteipräsidium ergattert zu haben. Doch Westerwelle ließ ihn abblitzen, gab dem Nordrhein-Westfalen Andreas Pinkwart den Vorzug. „Das hat ihm Hahn wohl nicht verziehen“, deutet einer aus Berlin nun Hahns Sympathien für den Putschversuch gegen den Parteichef.

Und wie reagiert der darauf? Westerwelle lässt per „Bild“-Interview verbreiten, dass er gar nicht daran denke, sein Doppelamt im Außenministerium und an der Parteispitze aufzugeben. Sonst nichts. Verständnisloses Kopfschütteln bei den Parteioberen. Registriert der Mann, was da im Augenblick in seiner Partei abläuft?

Er wird verstehen müssen. Bis zum Ende des Sommers wollen sie ihm Zeit geben, sich zu fangen, selbst eine Lösung zu finden. Eine, mit der die FDP in der schwarz-gelben Koalition Politik machen und Kompromisse schließen kann, ohne dass sie jedes Mal das gesamte Parteiprogramm infrage stellen. Es läuft auf eine Trennung vom Amt des Parteichefs hinaus. Wird ein Komplott vorbereitet für den Fall, dass Westerwelle stur bleibt und die FDP im Herbst nicht aus dem Umfragetief herauskommt?

Das Schweigen der auf diesen Punkt Angesprochenen deutet eher auf den Wunsch statt auf eine diesbezügliche Bewegung hin. Es wird nach Rechtfertigung gesucht: Als es 2005 zum zweiten Mal hintereinander nicht für Schwarz-Gelb reichte und Angela Merkel in die große Koalition zog, da schob Westerwelle den verdienten Liberalen Wolfgang Gerhardt unsanft aufs Abstellgleis. In der Opposition müsse die Partei einheitlich und straff geführt werden, um nicht unterzugehen. Gerade wenn zwei große Parteien regieren. Westerwelle vereinte Fraktions- und Parteivorsitz und schnitt sämtliche Strukturen auf sich selbst zu. Jetzt, argumentieren seine Kritiker, sei die Oppositionszeit jedoch zu Ende. Und Parteiarbeit im Nebenerwerb eines Außenministers, das funktioniere eben nicht. Ab Herbst muss es wieder bergauf gehen. Baden-Württemberg, eines der liberalen Stammländer, steht 2011 auf dem Spiel.

Doch so weit ist es noch nicht. Auf der Suche nach Erklärungen, nach Antworten auf die Frage, was eigentlich geschehen ist zwischen dem Herbst und diesem Sommer, sieht man erst einmal in ratlose Gesichter. War es das Unvermögen eines Verblendeten zur Einsicht? Hat da einer seine eigenen Thesen zum Schluss selbst geglaubt und Wunsch mit Wirklichkeit verwechselt? Oder war es die Schwäche eines Parteiapparates, in dem zum Schluss nur noch eigene Karrierepläne zählten?

Vielleicht eine Mischung aus beidem. Ein unheilvolles System, das immer dann zu entstehen droht, wenn zu viel Macht in der Hand eines Einzelnen und zu wenig Verantwortungsbewusstsein in seinem Umfeld aufeinandertreffen.

Zunächst die Macht des Einzelnen: Im Falle der FDP hat sie über Jahre hinweg dazu geführt, dass wichtige inhaltliche und personelle Entscheidungen strikt von ihm getroffen wurden oder zumindest in seinem Sinn. Mit einem „freundlichen Lächeln“, erinnert sich heute einer, habe ihn Westerwelle vor der versammelten Fraktion gerüffelt, als er mal in einem Interview aus der Reihe getanzt war. Wer was werden wollte, hielt besser den Mund. Warnungen schlug der Chef gern achtlos zur Seite. Bis hinein in dieses Jahr. Als längst feststand, dass die finanzielle Lage des Staates in der Krise eine umfangreiche Steuerreform nicht mehr zulassen würde, hatte Westerwelle ein neues Steuerreform-Konzept in Auftrag gegeben, mit dem er noch vor der Nordrhein-Westfalen-Wahl punkten wollte.

Noch ein Steuersenkungskonzept statt realitätsbezogener Abrüstung? Manchen gab es, der diesen Plan wenig hilfreich fand. Gehört wurde keiner.

Nun zur Schwäche der anderen: Sie beginnt an dem Tag des Wahlsieges im vergangenen September, dem Tag des großen Kofferpackens. „Belohnung abholen“ hieß das liberale Motto dieser Zeit, es wurden Ministerposten für Altgediente verteilt und solche für Staatssekretäre, die nie zuvor in ihrem Leben fachlich etwas mit dem zu tun hatten, was jetzt auf sie zukam. Ganze Heerscharen von Mitarbeitern aus der Parteizentrale und der Fraktionsführung zogen in Regierungsämter ein. Praktisch jeder, der die Partei, ihre Strukturen und den Apparat kannte. „Das ganze System stand auf einmal still“, erinnert sich einer der Zurückgelassenen. Nun gab es dort auf einmal welche, die noch viel zu unerfahren waren für die Posten, die sie besetzen mussten. Und es gab natürlich auch welche, die beim Stühlerücken vergessen wurden und enttäuscht in die innere Emigration zogen. Man muss sich das einmal vorstellen: Ausgerechnet die Partei der Steuerpolitik hat weder einen Staatssekretär im Finanzministerium noch einen Finanzpolitiker im Wirtschaftsministerium. Und in der Fraktion besetzt ein Fachmann allein zwei Posten. Kein Wunder, dass jeder für sich, dass sich alle zusammen seit Monaten an ihr altes Parteiprogramm klammern, obwohl das von der Realität längst überholt wurde.

Nächste Woche wollen sie einen ersten Schritt aus dem Keller wagen. Zwei Tage lang soll der Vorstand der FDP ein „neues Konzept“ beraten. Begriffe wie „ökonomische Vernunft“ und „Gerechtigkeit“ tauchen darin auf. Das Image der sozialen Kälte soll weg, mehr Flexibilität dafür her. Von einer zarten Annäherung an Rot-Grün ist sogar schon die Rede, man will sich aus der Umklammerung der Union lösen, die es gibt, seit Westerwelle mit Angela Merkel im Auto spazieren fuhr. Solche Bilder will die FDP jetzt am liebsten gar nicht mehr sehen.

Dafür taucht ein anderes Gesicht immer häufiger auf. Es gehört dem 31-jährigen Christian Lindner. Westerwelle platzierte ihn als Generalsekretär in der Parteizentrale. Zweimal schon begeisterte Lindner seitdem die Basis mit Parteitagsreden. Einen „Intellektuellen“ nennen sie ihn bewundernd, einen Mann für die Zukunft. Schon wieder einer mit blau-gelbem Messias-Potenzial.

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