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FDP: Westerwelles Wende: Ein alter Hut

FDP-Chef Westerwelle will die "geistig-politische Wende" – doch erfunden hat er weder den Begriff noch die Inhalte.

Von Lutz Haverkamp

Berlin - Guido Westerwelle mag das große Karo. Für Deutschland hat der FDP-Chef die „geistig-politische Wende“ ausgerufen. Seine Partei wolle eine „faire Gesellschaft, in der sich Leistung lohnt“, sagte der Liberale gerade in Stuttgart. Die Begrifflichkeit erinnert an Altkanzler Helmut Kohl (CDU), der schon im Bundestagswahlkampf 1980 die Notwendigkeit einer „geistig-moralischen Wende“ verkündete. Trotz 16-jähriger Regentschaft wurde die Losung nicht konkreter gefasst – geschweige denn umgesetzt.

Derzeit verbinden Wahlvolk und Medien die FDP vor allem mit Steuersenkungen und weniger mit einer geistig-politischen Neuausrichtung der deutschen Politik. Westerwelles neuer Generalsekretär Christian Lindner füllte die Worthülse von der Wende im Tagesspiegel-Interview dennoch mit Inhalt. „Wir wollen eine neue Balance von Staat und Privat“, sagte der 30-Jährige. Der Staat sei gegenwärtig ein teurer Schwächling, der sich immer mehr Einfluss anmaße. Für die liberale Partei „ist Erwerbsarbeit nicht nur Einkommenssicherung. Sie ist aktive Teilhabe an der Gesellschaft. Man reift nicht zu Hause auf der Couch zur Persönlichkeit. Arbeit ist Quelle von Selbstvertrauen. Deshalb ist es human, alles zu tun, um Menschen für Arbeit zu aktivieren. Ein Sozialstaat, der nur Taschengeld überweist, ist nicht human“, sagte Lindner weiter. Soziale Gerechtigkeit will Lindner vielmehr als Fairness verstanden wissen. „Ich persönlich ziehe diesen Begriff vor, weil das herkömmliche Verständnis von sozialer Gerechtigkeit inzwischen gleichbedeutend mit Gleichheit ist. Fairness heißt klare Regeln, ethisches Miteinander, Anerkennung von Leistung, Hilfe für Bedürftige.“

Das Urheberrecht für dieses Sozialstaatsverständnis kann der liberale Shootingstar weder für sich, noch für sein politisches Lager beanspruchen. Mehr als zehn Jahre vor ihm schrieben Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) und der britische Premier Tony Blair der europäischen Sozialdemokratie ins Stammbuch: „In der Vergangenheit wurde die Förderung der sozialen Gerechtigkeit manchmal mit der Forderung nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt. Letztlich wurde damit die Bedeutung von eigener Anstrengung und Verantwortung ignoriert und nicht belohnt und die soziale Demokratie mit Konformität und Mittelmäßigkeit verbunden statt mit Kreativität, Diversität und herausragender Leistung. Der Weg zu sozialer Gerechtigkeit war immer mit höheren öffentlichen Ausgaben belastet, ohne Rücksicht auf Ergebnisse oder die Wirkung der hohen Steuerlast auf Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung oder private Ausgaben. Soziale Gerechtigkeit lässt sich nicht an der Höhe der öffentlichen Ausgaben messen. Der wirkliche Test für die Gesellschaft ist, wie effizient diese Ausgaben genutzt werden und inwieweit sie die Menschen in die Lage versetzen, sich selbst zu helfen. Das System der Steuern und Sozialleistungen muss sicherstellen, dass es im Interesse der Menschen liegt, zu arbeiten. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Arbeit für den Einzelnen und die Familie lohnt.“

Dem ehemaligen FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff schien das gefallen zu haben. Er zitierte im September 1999 die Passage aus dem Schröder-Blair-Papier über das Verhältnis von sozialer Gerechtigkeit und öffentlichen Ausgaben und fügte hinzu: „Unsozial sind öffentliche Verschwendung, das Setzen von Fehlanreizen und Leistungsversprechen zulasten unbeteiligter Dritter. Sozial gerecht ist es vielmehr, das Vertrauen in die Mündigkeit und Selbstverantwortungsfähigkeit des Menschen mit der Bereitschaft zu solidarischer Hilfe bei Bedürftigkeit und unverschuldeter Notlage zu verknüpfen.“

Noch früher als Westerwelle, Lindner, Schröder, Blair und Lambsdorff war allerdings eine gesellschaftliche Gruppe, die der Sympathie für FDP-Slogans als völlig unverdächtig gelten kann. Sie schrieb im Mai 1996 in ihrer Sozialstaatscharta: „Es kann nicht Aufgabe des Sozialstaats sein, den Menschen die Verantwortung für ihren alltäglichen Lebensunterhalt, für die Entfaltung ihrer Persönlichkeit und für ihre private Daseinsvorsorge im Normalfall abzunehmen.“ Es war der Deutsche Gewerkschaftsbund.

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