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Wiederholen und verstehen. Nachhilfeunterricht - wie hier in Hamburg - wird für viele Eltern zur Option.

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Fehler im Bildungssystem: Eltern als Hilfslehrer

In Zeiten des Turbo-Abiturs werden Eltern bei der Betreuung der Hausaufgaben ihrer Sprösslinge oft zu Nachhilfelehrern. Der Tübinger Bildungsforscher Ulrich Trautwein warnt aber vor einer "Spirale des Misserfolgs", wenn der elterliche Beistand zur Zwangsbetreuung wird.

Hausaufgaben, so schrieb der in Kassel lehrende Erziehungswissenschaftler Frank Lipowsky schon im Jahr 2004, lösen immer wieder „kontroverse Diskussionen in Lehrerkollegien“ aus „und sind häufig Anlass für familiäre Konflikte“. Bis zu seinem zehnten Schuljahr, so rechnete Lipowsky damals aus, hat ein durchschnittlicher Schüler rund 1500 Stunden mit Hausaufgaben verbracht – was etwa der Unterrichtszeit von eineinhalb Schuljahren entspricht.

In der Zwischenzeit dürfte die Hausaufgabenlast für die Schülerinnen und Schüler in Deutschland nicht geringer geworden sein. Viel spricht dafür, dass das Pensum in Zeiten von Turbo-Abitur und G-8-Reform eher gewachsen ist. Und damit auch der häusliche Stress, der gerne auch einmal am Wochenende aufkommt. Da bringt man sich gegenseitig im Elternkreis auf den Stand, welche Aufgaben wo im Lehrbuch zu machen oder welche Vokabeln zu wiederholen sind. Und die Eltern werden zu Hilfslehrern. Das geschieht mit unterschiedlichem Geschick, kleine Familiendramen inklusive.

Soll man also die Hausaufgaben besser in der Schule unter Aufsicht machen lassen? In Deutschland wird das zunehmend praktiziert, je nachdem, wie weit der Ausbau der Ganztagsschulen vorangeschritten ist. Auch in Frankreich verlangte Präsident François Hollande im vergangenen Oktober, dass die Aufgaben künftig öfter unter Betreuung in der Schule und seltener zu Hause erledigt werden sollen. Auf diese Weise will Hollande die sozialen Unterschiede ausbügeln, die zur Folge haben, dass Schüler aus bildungsfernen Familien zu Hause oft keinen Ansporn bekommen. Überraschenderweise war das Echo der Franzosen auf Hollandes Vorstoß eher negativ. Eine Mehrheit, die sich offenbar eine gewisse Kontrolle des Schulfortschritts ihrer Kinder wünscht, war nach einer Umfrage gegen die Idee.

In Frankreich sind schriftliche Aufgaben, die zu Hause erledigt werden sollen, in der Grundschule seit 1956 zumindest auf dem Papier abgeschafft. In den oberen Klassen sieht es in der Praxis so aus, dass die „lycéens“, also die Gymnasiasten, im Schnitt pro Tag ein bis zwei Stunden zu Hause büffeln. Wann Bildungsminister Vincent Peillon seine Ideen zur Einschränkung der häuslichen Hausaufgabenplackerei umsetzt, ist noch offen.

Der Tübinger Bildungsforscher Ulrich Trautwein hält in jedem Fall wenig davon, wenn die Hausaufgabenhilfe zur Dauerbeschäftigung für die Eltern wird. Zwar fand er in seinen Studien einen besonders hohen Lernerfolg in denjenigen Klassen, in denen Lehrer regelmäßig Hausaufgaben von hoher Qualität erteilten und mit diesen Aufgaben auch Motivation und Lernstrategien der Schüler fördern wollten. Trautwein betrachtet es zudem als wichtig, dass sich die Eltern dafür interessieren, was ihre Sprösslinge gerade im Unterricht durchnehmen, und für ihre Kinder und deren schulischen Belange ansprechbar sind. Gleichzeitig bezeichnet er es aber als „Alarmsignal“, wenn Lehrer versuchen, die Eltern als Hilfslehrer einzuspannen. Das kann gelegentlich fatale Folgen haben: „In den Haushalten, in denen oft über Hausaufgaben gestritten wird und die Schüler eine Zwangsbetreuung erfahren, findet man häufiger eine Spirale des Misserfolges“, sagt Trautwein.

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