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Kein Einzelfall:

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Politik: Fehler im System

Vor dem Parteitag der kommunistischen Staatspartei bekommt Chinas Führung den Unmut der Bevölkerung zu spüren. Korruption und Vetternwirtschaft stellen die Legitimation ihrer Herrschaft infrage. Und Reformen lassen auf sich warten.

Peking - Das chinesische Internet feiert einen neuen Helden. Zhang Tiancheng hat etwas getan, was nur die wenigsten einem Beamten der Kommunistischen Partei zugetraut hätten. Der Abgeordnete des Komitees für Politik und Recht der südchinesischen Stadt Hanshou hat Anfang November auf Anfragen von Internetnutzern freiwillig sein Einkommen und Vermögen veröffentlicht. „Er ist ein wahrer Diener des Volkes“, lobte ihn ein Internetnutzer, „ich wünschte, er könnte als Vorbild für alle anderen dienen.“ Ein anderer Nutzer hoffte sogar: „Sein persönliches Vermögen von Gesetz wegen zu veröffentlichen, ist ein Trend, der nicht zu stoppen ist.“

Diesen Trend freilich müssten diejenigen unterstützen, die bei dem am Donnerstag beginnenden 18. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas zu den neuen Führern der Volksrepublik bestimmt werden. Dass Korruption ganz oben auf der Liste der Herausforderungen für den wohl neuen Partei-Generalsekretär Xi Jinping steht, dürfte niemand bezweifeln.

Am Sonntag warf das 17. Zentralkomitee bei seiner Abschlusssitzung den ehemaligen Spitzenpolitiker Bo Xilai aus der Partei, dem unter anderem Korruption und Bereicherung vorgeworfen wird. Wann sein Strafverfahren eröffnet wird, ist noch unbekannt. Danach leitete der Ständige Ausschuss des Politbüros, so berichtete die „South China Morning Post“, eine Untersuchung über das Vermögen der Familie von Premier Wen Jiabao ein. Diese soll laut Recherchen der „New York Times“ über ein Vermögen von insgesamt 2,7 Milliarden Dollar verfügen. Wen Jiabao dementierte und hat angeblich die Untersuchung selber beantragt.

Korruption scheint jedoch dem politischen System Chinas immanent zu sein. Ein Bericht der Chinesischen Zentralbank aus dem Jahr 2011 stellt fest, dass zwischen 1990 und 2008 rund 120 Milliarden Dollar von korrupten Beamten ins Ausland geschafft wurden. Diese weitverbreitete Korruption bedroht das politische System, weil die Meritokratie ein wichtiges Element der kommunistischen Ideologie darstellt. Nur die Besten, so die Theorie, kommen nach oben. Tatsächlich beweist die hohe Zahl der Prinzlinge – das sind Söhne oder Töchter wichtiger Beamter –, dass Beziehungen und Verwandtschaft nicht minder bedeutend sind.

Der China-Experte Roderick MacFarquhar glaubt, dass die neue Führung das Korruptionsproblem auch nicht bewältigen kann. „Es ist ein geradezu unlösbares Dilemma – wie kann man Korruption bekämpfen, die so weit verbreitet ist, von der Spitze bis zum Boden?“, sagte der Politik-Professor der Harvard-Universität. Die Korruption ist auch ein Grund für die wachsende Unzufriedenheit der chinesischen Bevölkerung. Die Chinesen spüren, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet. Der „Glücksindex“ der Pekinger Universität für Wirtschaft und Handel sinkt seit vier Jahren.

Die Regierung arbeitet bereits seit Jahren an einem neuen Gesetz für eine gerechtere Einkommensverteilung. Dazu müsste auch die Wirtschaft reformiert werden. Die mächtigen, von der Partei gesteuerten staatseigenen Betriebe, die wichtige Wirtschaftsfelder wie Energie, Telekommunikation oder Finanzen dominieren, müssten Einfluss an die privaten Unternehmen abgeben. Um weiteres Wachstum zu schaffen, muss die neue Regierung, wie im neuen Fünfjahresplan auch vorgesehen, Chinas Abhängigkeit von Exporten und Investitionen mindern und auf hochwertigere Unternehmen und den Binnenkonsum setzen. Die Mittelschicht-Proteste Ende Oktober in Ningbo gegen eine Erweiterung einer Chemiefabrik haben auch gezeigt, dass das Wirtschaftswachstum nicht weiter auf Kosten der Umwelt gehen sollte.

Durch den Reformstau in den letzten zehn Jahren sind wichtige Themen liegen geblieben. Die Landbevölkerung ist von der Stadtbevölkerung weiter abgehängt worden. Auch werden die Stimmen, die Reform oder Abschaffung der Ein-Kind-Politik fordern, immer lauter.

„Die letzten zehn Jahre waren zweischneidig: Auf der einen Seite gab es große Erfolge, aber auf der anderen Seite auch viele Probleme“, sagte Pu Xingzu, Politik-Professor der Schanghaier Fudan-Universität, der „South China Morning Post“, „es müssen Lösungen für diese Probleme gefunden werden, sonst werden sie komplizierter, schwieriger und bedrohlicher.“ Es werde mutige und risikofreudige Führer brauchen. Sein Kollege von der Harvard-Universität glaubt allerdings, dass es der neuen politischen Führung an Mut zu Reformen fehlen wird. Die Führer seien selbst zu sehr in das korrupte System verwickelt, sagte MacFarquhar der „South China Morning Post“: „Sie haben Angst, dass sie einen Stein ins Rollen bringen könnten, der eine Lawine auslöst.“ Benedikt Voigt

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