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Politik: Feier ohne Volk

Rund um den 8. Mai herrschen in Moskau extreme Sicherheitsvorkehrungen – viele Bürger müssen die Hauptstadt verlassen

Die Feier zum 60. Jahrestags des Sieges im 2. Weltkrieg findet ohne die eigentlichen Sieger statt: Die Völker der Sowjetunion. Zumindest in Moskau. Oberbürgermeister Jurij Luschkow forderte die Hauptstädter schon Ende April auf, Moskau in der Zeit zwischen 7. und 10. Mai „nach Möglichkeit zu verlassen“. Volksfeste und Konzerte, wie sonst üblich, tröstete er, würde es ohnehin nicht geben. Im Interesse der Sicherheit für die ausländischen Staatschefs würde Moskau vielmehr komplett abgeriegelt. Durch die Postenkette dürfe nur, wer einen Sonderausweis hat. Zu den Feiern werden mehr als 50 ausländische Staats- und Regierungschefs erwartet, darunter auch US-Präsident George W. Bush und Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Ein Sonderstab unter Leitung von Wladimir Koschin, Putins Freund und Chef des für Personenschutz zuständigen Sondergeheimdienstes, hat für die Jubelfeier das gesamte Zentrum sperren lassen – für Fußgänger wie für Fahrzeuge. Das gilt auch für die Rettungswagen privater Krankenkassen, bei denen 40 Prozent der Bürger Moskaus versichert sind. Staatliche Notärzte dürfen zwar passieren, müssen aber mit mehrfachen Kontrollen rechnen. Geheimdienste wollen Hinweise bekommen haben, wonach tschetschenische Terroristen eine Ambulanz für den nächsten Sprengstoffanschlag präpariert haben. Nach unbestätigten Meldungen hatte die Moskauer Polizei Ende April in einem als gestohlen gemeldeten Krankenwagen Spuren von Sprengstoff entdeckt.

Auch in der Metro dürfen im Zentrum nur Inhaber von Sonderausweisen aussteigen. Das gilt sogar für ehemalige Frontkämpfer, die sich jedes Jahr vor dem Bolschoi-Theater treffen. Doch diesmal ist nur dabei, wer auf den Namenslisten steht. Veteranen-Organisationen mussten sie einreichen, weil Putin und dessen Amtsbrüder den ehemaligen Frontkämpfern die Hand schütteln wollen. Sie und der Rest des gemeinen Volkes haben während der Feierlichkeiten auch Platzverbot für die Poklonnaja Gora – den Helden-Hügel im Südwesten Moskaus, wo zum 50. Jahrestag des Sieges ein monumentaler Denkmalskomplex eingeweiht wurde.

Der Rote Platz bleibt sogar bis zum 20. Mai gesperrt, so lange, bis Tribünen und Technik für die Militärparade wieder abgebaut sind. Für deren Probe ist das Stadtzentrum abends ab 18 Uhr schon jetzt meistens dicht. Zum Ärger der teuren Geschäfte, denen die Kundschaft wegbleibt. Auch auf den Flughäfen gelten zwischen 7. und 10. Mai massive Einschränkungen für den Linienverkehr.

Schon seit Anfang März werden, wie die „Nesawissimaja Gaseta“ schrieb, psychisch Kranke landesweit beschattet. Ärzte sollen den Geheimdiensten persönliche Daten ihrer Patienten zur Verfügung gestellt haben, um die, falls erforderlich, aus Zügen und Flugzeugen zu holen und an einer Moskaureise zu hindern.

In der Hauptstadt selbst wurden, wie zu den Olympischen Spielen im Jahr 1980, Prostituierte und Obdachlose lange vor dem eigentlichen Start der Veranstaltung eingesammelt, abtransportiert und 250 Kilometer von Moskau entfernt ausgesetzt. Dass die Mehrheit sich sofort auf den Rückweg machte, hat offenbar niemand bedacht.

Radio Echo Moskwy nannte das Ganze eine Generalprobe für den G-8-Gipfel, dessen Gastgeber Putin im nächsten Jahr ist. Doch die Moskauer sprechen eher von einem Ausnahmezustand, der alle, die den Krieg bewusst miterlebten, eher an dessen Anfang, denn an das Ende erinnert.

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