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Politik: Feinstaub im Getriebe

Von Ursula Weidenfeld

Man kann sich nur wenige Begriffe vorstellen, die noch sperriger sind als Wörter wie Feinstaubrichtlinie, Antidiskriminierungsrichtlinie oder Dienstleistungsrichtlinie. Also kein Wunder, wenn man hört, dass die rotgrüne Regierungskoalition, dass die Länder und die Kommunen ihre liebe Not mit diesen Konstrukten haben, die in den vergangenen Wochen scheinbar überraschend aus Brüssel in die deutsche Wirklichkeit eingebrochen sind. Und doch ist es so, dass diese drei Richtlinien, die allesamt in der Europäischen Union, in Brüssel besprochen, diskutiert und mit Zustimmung der Politiker dieses Landes verabschiedet wurden, zeigen, wie zerfallen und unkonzentriert, wie richtungslos und zermürbt der Politikbetrieb in diesem Land ist.

Die Feinstaubrichtlinie ist ein Instrument zur Luftreinhaltung, das vor allem in den Großstädten Europas für ein besseres Leben sorgen soll. Beschlossen wurde sie 1999, in deutsches Recht umgesetzt im Jahr 2000. Prima, denkt man sich, hier gab es genügend Zeit für Umwelt- und Finanzpolitiker, Industrie und Landesregierungen, durch geordnetes politisches Handeln Anerkennung zu verdienen. Doch was passiert, nachdem die Stadt München als erste deutsche Großstadt die Grenzwerte überschritten hat? Der Umweltminister schimpft auf die Industrie und die Länder, die Länder auf den Finanzminister und die Industrie, die Industrie wiederum auf den Umweltminister. Und alle miteinander können den Eindruck nicht verwischen, dass da ein kompliziertes politisches Problem – die finanzielle Förderung des Einbaus von Rußpartikelfiltern in Dieselautos nämlich – auf die lange Bank geschoben wurde, weil man die Mühe scheute, die ein (finanz-)politischer Kompromiss nun einmal kostet.

Noch schlimmer ging es mit der Antidiskriminierungsrichtlinie, vordergründig ein Gesetz, um echte Gleichberechtigung auch im Arbeitsleben und im Beruf durchzusetzen. Eine tolle Sache, um ein weltoffenes und tolerantes Land auf seinem Weg voranzubringen. Was aber passierte? Es wurde ein Gesetzentwurf formuliert, der sicher alle guten Wünsche für eine wirklich gute Welt reflektiert. Europa will das so, sagten die Gleichstellungsexperten auf Fragen der Arbeitsmarktpolitiker, ob die Sache nicht Arbeitsplätze koste. Unter dem Deckmantel der europäischen Verpflichtung wurde versucht, ein Herzensprojekt des grünen Koalitionspartners durchzuschmuggeln, möglichst ohne eine inhaltlichen Auseinandersetzung über die Beschäftigungswirkungen zu riskieren. Auch das ging schief.

Die Dienstleistungsrichtlinie schließlich. Eigentlich doch der richtige Anlass, die Arbeitsmarktreformen im Inland durch eine kalkulierte Öffnung des Dienstleistungsmarktes nach außen zu ergänzen – und um darüber zu streiten, wie viel Öffnung in welcher Zeit vernünftig ist. Doch Bundeswirtschaftsminister Clement hatte etwas anderes im Sinn. Er hat in der Vergangenheit mit all seinen Deregulierungsplänen für die Volkswirtschaft so viel Widerstand in den eigenen Reihen erfahren, dass ihm die Dienstleistungsrichtlinie gerade recht kam, um seine wirtschaftspolitischen Ziele durch die Hintertür doch noch zu erreichen. Soll doch Europa das besorgen, worauf wir uns nicht verständigen können, mag er überlegt haben. Dass dabei erst einmal viele einheimische Unternehmen lebensbedrohliche Probleme bekommen, weil sie selbst den Regulierungen unterworfen bleiben, von denen die Konkurrenten aus den EU-Nachbarländern frei sind, hat er entweder nicht gesehen – oder bewusst in Kauf genommen.

Alle drei Europa-Richtlinien stehen in diesem Land für die rapide schwindende politische Kraft, die notwendigen Auseinandersetzungen zu wagen. Sie stehen für die fehlende Konzentration, eingegangene Verpflichtungen zu erfüllen. Sie stehen für den Erschöpfungszustand, in dem man sich kontroverse Themen lieber vom Verfassungsgericht oder von der Europäischen Kommission aus dem Weg räumen lässt. Und sie stehen dafür, dass man seinen Problemen am Ende doch nicht entkommt.

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