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Fernsehansprache: Gaddafi: Ich sterbe als Märtyrer

Libyens Staatschef erklärt seinem Volk in einer bizarren Fernsehansprache den Krieg und warnt "Verräter". Einen Rücktritt schließt Muammar al Gaddafi aus. Kampfjets werfen unterdessen Bomben auf Wohnviertel.

Panzer, Kampfjets und eine wild um sich schießende Soldateska, hunderte Tote, tausende Verletzte und Zehntausende auf der Flucht - das Regime von Muammar al Gaddafi hat dem libyschen Volk den Krieg erklärt. "Wir werden bis zum letzten Blutstropfen kämpfen", kündigte der Despot am Dienstag in einer wirren Rede im staatlichen Fernsehen an. Die Demonstranten beschimpfte er als Ratten und Drogensüchtige. Rücktritt oder Flucht ins Exil lehnte er ab. Er habe kein Amt in Libyen inne, von dem er zurücktreten könne, giftete der Machthaber und las mit theatralischer Geste aus seinem Grünbuch vor. Er bleibe im Land und werde als "Märtyrer" sterben. Den Aufständischen warf er vor, sie wollten die Einheit Libyens zerstören und das Land in einen islamischen Staat verwandeln.

Doch je härter der Gaddafi-Clan um sich schlägt, umso mehr schwindet seine Macht. Zwei Minister sagten sich von ihm los. Immer mehr Militäreinheiten desertieren. Der gesamte Osten des Landes einschließlich der Grenzstation zu Ägypten ist bereits in der Hand der Aufständischen. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kamen allein in der Hauptstadt Tripolis seit Sonntag 62 Menschen bei dem Aufstand gegen Gaddafi ums Leben.

In New York trat der UN-Sicherheitsrat auf Antrag libyscher UN-Diplomaten zusammen, die ihre Ämter aus Protest gegen das Blutbad in ihrer Heimat niedergelegt hatten. Zuvor hatte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon rund 40 Minuten lang dem Machthaber ins Gewissen geredet und in scharfem Ton verlangt, "die Gewalt gegen die Demonstranten zu beenden". Kanzlerin Angela Merkel forderte ein Ende der Gewalt und drohte mit Sanktionen.

Mehr als eine Stunde dauerte der bizarre Auftritt von "Bruder Führer", aufgenommen in den Trümmern der 1986 bei einem US-Luftangriff zerstörten Villa Gaddafis. Immer wieder verlor er den Faden, starrte schweigend auf sein Manuskript. Den "Verrätern" drohte er mit Tod und Blutvergießen, bevor er seine bizarre Rede mit den Worten "Revolution, Revolution" beendete. Derweil legten weitere libysche Diplomaten ihre Mandate nieder - darunter der Missionschef in den USA.

Gaddafi hat alle Fäden fest in der Hand, sollte sein Auftritt wohl suggerieren, sekundiert von der Propaganda-Maschine des libyschen Staatsfernsehens. "Alles Lügen" seien die Behauptungen, die Sicherheitskräfte hätten die Protestierer in verschiedenen Städten und Ortschaften massakriert. "Das ist Teil der psychologischen Kriegsführung gegen Libyen", stand auf einem roten Nachrichtenband des Kanals "Al-Jamahiriya Two" zu lesen. Die von außen gesteuerte Hetzkampagne habe nur das Ziel, "unsere Moral, unsere Stabilität und unseren Reichtum" zu zerstören. Die Sicherheitskräfte seien lediglich dabei, Gruppen von Terroristen niederzukämpfen.

Derweil legten am Dienstag weitere libysche Diplomaten ihre Mandate nieder - darunter der Missionschef in den Vereinigten Staaten. Der libysche Botschafter in Indien, Ali al-Essawi, erklärte, noch nie in der Geschichte habe eine Regierung fremde Söldner angeheuert, um auf das eigene Volk zu schießen. Die Bewaffneten würden in die Wohnungen eindringen, Frauen und Kinder hinrichten. "Seit Montag haben sie auch Flugzeuge gegen Zivilisten eingesetzt - das ist völlig unakzeptabel", sagte er dem Sender Al Dschasira.

Zahlreiche Nationen begannen, ihre Staatsangehörigen aus dem von Gewalt geschüttelten Land auszufliegen - darunter auch 450 Deutsche. Arabische Flüchtlinge an der libysch-ägyptischen und libysch-tunesischen Grenze berichten von offenem Gemetzel in den Städten. Bewaffnete hätten zahlreiche Checkpoints auf den Überlandstraßen errichtet und würden alle Flüchtlinge bis auf die Kleider ausrauben. "Wenn man aus Benghazi rausfährt, gibt es nur noch bewaffnete Banden und Jugendliche, die Straße ist extrem gefährlich", sagte ein Augenzeuge.

Angeheuerte Söldner schießen auf Libyer

In Tripolis schossen Hubschrauber erneut auf Menschen in den Straßen, um weitere Demonstrationen zu verhindern. Wie Augenzeugen berichteten, machten afrikanische Söldner aus dem Tschad und aus Nigeria Jagd auf Leute und schossen auf jeden, der ihnen vor den Lauf kam. Mehr als 1000 chinesische Bauarbeiter mussten sich vor bewaffneten Plünderern in Sicherheit bringen, die ihre Containersiedlung gestürmt hatten. Vielen wurden die Computer und das Gepäck gestohlen. Der Botschafter in Indien, Ali al Essawi, erklärte, noch nie habe eine Regierung fremde Söldner angeheuert, um auf das eigene Volk zu schießen. Kampfjets bombardierten auch Wohnviertel.

Die Start- und Landesbahn des Flughafens von Benghazi ist nach Militärangaben aus Kairo beschädigt und nicht mehr benutzbar. Ein Arzt des Al-Jalae-Krankenhauses schilderte am Dienstag, die Stadt sei inzwischen ruhig und unter der Kontrolle der Aufständischen. Momentan gebe es keine Kämpfe in den Straßen. Viele Krankenhäuser hätten kaum noch Medikamente. Es gebe einen extremen Mangel an Blutkonserven. Nach seinen Angaben sind allein in Benghazi in den letzten Tagen über 300 Menschen getötet worden. Er selbst habe schwer verstümmelte Leichen gesehen, Opfer, die offenbar mit Raketen, Artillerie und Panzerfäusten angegriffen worden seien.

Vor dem am Mittwoch beginnenden Besuch von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in Ägypten wird im Auswärtigen Amt die bisherige Führungsrolle von Mittelmeeranrainern wie Frankreich und Italien bei der Formulierung der EU-Politik gegenüber Nordafrika und dem Nahen Osten angezweifelt. Sie hätten "massive Glaubwürdigkeitsprobleme", hieß es mit Blick auf den oft nachsichtigen Kurs gegenüber Despoten wie Gaddafi.

Westerwelle drohte der libyschen Staatsführung mit dem Einfrieren von Vermögenswerten im Ausland. Am Dienstag landeten zwei Bundeswehr-Transalls und eine Lufthansa-Maschine in Tripolis, um die meisten der noch rund 400 deutschen Staatsangehörigen und deren Familien auszufliegen.

Berlusconi telefoniert mit Gaddafi

Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat am Dienstag mit Gaddafi telefoniert und die blutige Gewalt in dem Land angesprochen. Dabei habe Berlusconi Gaddafi gegenüber betont, wie wichtig eine friedliche Lösung und Mäßigung seien, um die Gefahr eines Bürgerkrieges in Libyen zu vermeiden. Das wurde aus informierten Kreisen in Rom bekannt.

Das Amt des Regierungschefs selbst teilte keinerlei Einzelheiten über das Gespräch mit. Berlusconi und Gaddafi sind freundschaftlich verbunden, beide Länder haben engste wirtschaftliche Beziehungen. (mit dpa)

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