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Zwei Fernsehteams filmen einen Nachbarn des syrischen Flüchtlings, der Jaber Albakr der Polizei gefesselt ausgeliefert hatte.

© dpa

Festnahme von Jaber Albakr: Erst rasiert, dann gefesselt

So überwältigten Syrer in Leipzig den bundesweit gesuchten Jaber Albakr. Einem Medienbericht zufolge soll sich der mutmaßliche Terrorist zuvor monatelang in der Türkei aufgehalten haben.

Von Frank Jansen

Nach dem Ende der dramatischen Terrorgeschichte in Sachsen und dem offenbar nur knapp verhinderten Anschlag auf einen Berliner Flughafen gibt es neue Informationen, aber auch weiter Verwirrung. Die wesentlichen Fragen lauten: Hatte der mutmaßliche Bombenbastler Jaber Albakr Verbindungen zur Terrormiliz IS? Wie überwältigten Syrer den Gesuchten in Leipzig? Und warum konnte Albakr in Chemnitz einem Spezialeinsatzkommando entkommen?

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, sagte im ZDF: „Uns ist es gelungen, kurz vor zwölf Uhr einen Terroranschlag zu verhindern.“ Laut seinen Aussagen gab es seit Anfang September einen nachrichtendienstlichen Hinweis, dass der IS in Deutschland einen Terroranschlag gegen die Infrastruktur plane. Also gegen Bahnhöfe, Züge oder Flughäfen. Erst am Donnerstag habe das BfV herausgefunden, „wer dafür in Deutschland verantwortlich ist“. Gemeint war der 22-jährige syrische Flüchtling Jaber Albakr, der im Chemnitzer Plattenbauviertel „Fritz Heckert“ in der Wohnung eines ebenfalls syrischen Flüchtlings mutmaßlich mit TATP-Sprengstoff hantierte. Ironie der Geschichte: Im Fritz-Heckert-Gebiet hielten sich 1999 die späteren NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit ihrer Kumpanin Beate Zschäpe versteckt.

Außer BfV-Präsident Maaßen sprach am Montag auch der Chef des sächsischen Landeskriminalamts, Jörg Michaelis, von einem zu vermutenden „IS-Kontext“ bei Albakr. Sicherheitskreise erwähnten zudem, bei der Überwachung der elektronischen Kommunikation von Albakr seien Kontakte ins Ausland und mutmaßlich zum IS festgestellt worden. Außerdem sei zu vermuten, dass Albakr vom IS im Umgang mit Sprengstoff trainiert wurde. Möglicherweise habe die Terrormiliz auch Albakr nach Deutschland geschleust und hier gesteuert. „Er ist nicht einer von denen, die sich über das Internet selbst radikalisiert haben“, vermutet ein Sicherheitsexperte. Wie die "Welt" unter Berufung auf Ermittlerkreise berichtet, soll sich Albakr vor seinen Anschlagsvorbereitungen in der Türkei aufgehalten haben. Der 22-Jährige habe Deutschland im Frühjahr bis zum Spätsommer verlassen. Geprüft wird demnach auch, ob er von der Türkei aus nach Syrien reiste und sich dort in einem Ausbildungslager islamistischer Terroristen schulen ließ.

Die Bundesanwaltschaft sieht bislang jedoch nicht genügend Belege für einen IS-Bezug. Gegen Albakr werde nur wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ermittelt, sagte am Dienstag ein Sprecher der Behörde. Für den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland reiche die Beweislage derzeit nicht.

Das gilt auch für den mutmaßlichen Komplizen von Albakr in Chemnitz. Gegen den 33-jährigen Khalil A., in dessen Wohnung Albakr den Sprengstoff hergestellt haben soll, ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Khalil A. wurde bereits am Sonnabend in Chemnitz am Hauptbahnhof festgenommen.

Albakr bot seinen Landsleuten für eine Befreiung Geld an

Um die Festnahme von Jaber Albakr in Leipzig ranken sich widersprüchliche Geschichten. Mal ist von zwei, mal von drei Syrern die Rede, die den Terrorverdächtigen gefesselt der Polizei übergeben haben sollen. Die „Bild-Zeitung“, die mit einem der „Helden-Flüchtlinge“ gesprochen hat, nennt mehr als zwei Syrer, allerdings zu unterschiedlichen Zeiten.

Zwei Syrer, darunter der Gesprächspartner der „Bild“, seien zunächst zum Leipziger Hauptbahnhof gefahren. Von dort hatte Albakr am Sonnabend über ein Online-Netzwerk nach einem Platz zum Übernachten gesucht. Die zwei Syrer holten den fremden Landsmann ab, der angab, einen Job zu suchen, und fuhren zu einem Freund, bei dem dann gegessen wurde. Bei einem anderen Kumpel konnte Albakr dann schlafen.

Am Sonntag ließ sich Albakr von einem der Syrer, die ihn am Bahnhof aufgelesen hatten, die Kopfhaare abrasieren. Der Aushilfsfriseur und sein Freund sahen dann jedoch bei Facebook einen Fahndungsaufruf mit dem Bild von Albakr. Als er sich Sonntagabend zum Schlafen legte, überwältigten die beiden Männer den Terrorverdächtigen und fesselten ihn mit Verlängerungskabeln. Albakr bot den Landsleuten Geld, angeblich 1000 Euro und 200 Dollar, doch es nutzte nichts.

Der Aushilfsfriseur rief bei der Polizei an. Es habe aber Verständigungsprobleme gegeben, sagte er dem TV-Sender RTL. Der Mann ging dann zur nächsten Polizeiwache. Dort zeigte er sein Smartphone mit dem Foto des verschnürten Albakr. Sofort begaben sich Beamte zur Wohnung und nahmen in der Nacht zu Montag, kurz vor ein Uhr, Albakr fest. Der Aushilfsfriseur sagte „Bild“, er selbst sei vor dem IS geflohen und Deutschland dankbar, dass es ihn aufgenommen hat.

Sicherheitskreise sagen hingegen, zwei Syrer seien zur Polizei gekommen und ein dritter habe den gefesselten Albakr bewacht, der sich befreien wollte. Offen bleibt auch, in welches Risiko sich die Syrer begeben haben. Sollte Albakr ein IS-Mann sein, müsse über ein Schutzprogramm für die mutigen Flüchtlinge nachgedacht werden, hieß es, um sie vor Rache der Terrormiliz zu bewahren. Ein Nachbar sagte der „Leipziger Volkszeitung“, dass einer der mutigen Syrer sich vor allem um seine Familie und Angehörigen sorgt, die in Syrien im vom „Islamischen Staat“ beherrschten Gebiet wohnen. Im Internet werden die couragierten Flüchtlinge gelobt.

Unterdessen schwelt bei Sicherheitsexperten weiterhin Kritik am Einsatz der Polizei am Sonnabend in Chemnitz. Ein SEK-Mann hatte mit einem Warnschuss versucht, Albakr aufzuhalten, als er aus dem Plattenbau kam. Doch der Syrer entwischte. „Mit einer zweiten Polizeikette wäre das nicht passiert“, sagte ein Experte. Außerdem sei der Hinweis von LKA-Präsident Michaelis auf die über 30 Kilo schwere Ausrüstung der Beamten „wenig plausibel“. Auch wenn das SEK, um sich zu tarnen, nicht in der Nähe zum Gebäude gestanden habe, müsste den durchtrainierten Polizisten ein Sprint mit schwerer Ausrüstung zuzutrauen sein.

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