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Politik: „Feuerchen gehören dazu“

SPD-Chef Kurt Beck zum Streit um Hartz IV, Spannungen in der Koalition und das Projekt Gesundheit

Herr Beck, gehen wir recht in der Annahme, dass Ihr Sommerurlaub in diesem Jahr ausfällt?

Das ist falsch. Ich mache Urlaub, und zwar zwei Wochen Ende Juli, Anfang August mit meiner Frau an der Mosel.

Und Sie sind sicher, dass die große Koalition in Berlin ihr Reformpensum bis dahin erfüllt hat?

Bis ich in den Urlaub gehe, werden wir alles abgearbeitet haben. Das gilt nicht nur für die Gesundheitsreform und die Föderalismusreform, sondern auch für die Eckpunkte einer Unternehmenssteuerreform.

Das heißt, die Deutschen erfahren im Juli verbindlich, wie die Koalition das Gesundheitssystem sanieren will?

Davon gehe ich fest aus. Wir haben uns in der Koalitionsrunde darauf verständigt, dass wir in jedem Fall vor der Sommerpause politische Eckpunkte für die Reform festlegen, so dass während der Sommerpause mit der Gesetzesarbeit begonnen werden kann.

Die Koalition steht bei den Reformen unter großem Zeitdruck, das Klima zwischen den Partnern und in den beiden Parteien hat sich verschlechtert. Nun wird nicht mehr nur in der SPD, sondern auch in der Union gemurrt...

...was ich immer vorhergesagt habe: Auch die Union wird ihre Schwierigkeiten bekommen.

Erschweren die Spannungen in der Koalition nicht die Suche nach Kompromissen?

Hier und dort gibt es Wetterleuchten, das stimmt. Aber die Arbeitsatmosphäre in der Koalitionsspitze ist in Ordnung, das nötige Vertrauen zwischen den handelnden Personen ist da. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die großen Herausforderungen stemmen werden.

CSU-Generalsekretär Söder wirft der SPD vor, zu oft nein zu sagen. Innenminister Schäuble bemängelt Ihre Überlegungen zu künftigen Koalitionen mit der FDP. Ministerpräsidenten der Union kritisieren die Korrekturen von Arbeitsminister Müntefering an Hartz IV als unzureichend. Sieht so eine gute Arbeitsatmosphäre aus?

Dieses Wetterleuchten, diese Feuerchen am Rande gehören dazu. Wir sind ja nicht Ehe-, sondern Koalitionspartner. Wenn die Union mich kritisiert, dann bedeutet dass: Ich habe meine Arbeit offensichtlich ordentlich gemacht. Für den SPD-Vorsitzenden geht es darum, in einer tragfähigen Arbeitsatmosphäre die Dinge zu bewegen und zugleich das Profil der eigenen Partei zu zeigen. Solange es so aussah, als würde dies auch der Unionsseite gelingen, war sie zufrieden. Jetzt ist sie ein bisschen weniger zufrieden. Damit kann ich gut leben. Es ist nun einmal in Koalitionen so, dass man Kompromisse machen und sie aushalten muss. Und es ist so, dass die Basis der Koalition der Koalitionsvertrag ist – und der trägt eine sozialdemokratische Handschrift.

Der Kompromiss der schwarz-roten Koalition zum Antidiskriminierungsgesetz, der viele in der Union so erbost hat, ging aber über den Koalitionsvertrag hinaus.

Das bestreite ich nicht. Aber der Kompromiss lag auch im Interesse von CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber, sonst hätten sie ihn ja nicht abgeschlossen.

Vielleicht war das ein Fehler, den auch die SPD noch spüren wird, weil er den Spielraum der Kanzlerin bei den anstehenden Reformverhandlungen einengt.

In der Sache handelt es sich doch eher um ein Aperçu. Viel von der Kritik aus der Union am Antidiskriminierungsgesetz hat auch mit dem Konkurrenzverhältnis mancher Unionsministerpräsidenten zur Kanzlerin zu tun. Aber das darf die Koalition nicht beeinträchtigen.

Und womit hat die Kritik der Ministerpräsidenten von CDU und CSU an der Arbeit von Vizekanzler Franz Müntefering zu tun?

In der Sache ist die Kritik nicht gerechtfertigt. Wir haben mit dem Fortentwicklungsgesetz zum Arbeitslosengeld II, das gerade den Bundestag passiert hat, doch gravierende Änderungen beschlossen. Wer eine zumutbare Arbeit mehrfach ohne Grund ablehnt, muss Einbußen in Kauf nehmen. Wer monatelang in Urlaub fährt, steht dem deutschen Arbeitsmarkt eben nicht zur Verfügung und kann deshalb auch keine Ansprüche geltend machen. Das war richtig und notwendig und ist auf Initiative der SPD und von Franz Müntefering geschehen...

...und geht vielen in der Union nicht weit genug.

Kürzungen der Regelsätze, wie sie manche in der Union wohl im Blick haben, kommen nicht in Frage. Wer sich ernsthaft um Arbeit bemüht, erhält eben nicht zu viel, wie da manche behaupten. Es stimmt auch nicht, dass viele Menschen keine niedrig bezahlte Arbeit annehmen, weil die Sozialtransfers zu hoch sind. Schließlich gehen über zwei Millionen Menschen einer solchen Arbeit nach. Wenn ich sehe, was Franz Müntefering jetzt auf den Weg gebracht hat, dann frage ich mich, was die Forderung nach einer Generalrevision soll. Falls irgendjemand daran denken sollte, die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe rückgängig zu machen, dann kann ich nur sagen: nicht mit uns.

Also geht es im Herbst, wenn die Koalition noch mal über Hartz IV reden will, nicht um eine grundlegende Überholung des Systems, sondern allenfalls um weitere Korrekturen?

Wie gesagt: Gesetzgeberische Lücken, die ein illegitimes Ausnutzen des Systems ermöglichen, müssen geschlossen werden. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn es da im Herbst noch Handlungsbedarf gibt, stelle ich mich nicht dagegen.

Die Unionsländer wollen das Korrekturgesetz zu Hartz IV jetzt in den Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag bringen – entgegen der Vereinbarung im Koalitionsausschuss. Kann das angehen?

In einer Koalition muss man sich schon an die grundsätzlichen Vereinbarungen halten. Es darf nicht zu parteipolitisch motivierten Verzögerungen oder gar Blockaden kommen, wie das hier der Fall ist. Nur bei Einzelproblemen muss es möglich sein, dass Ministerpräsidenten gemäß ihres Amtseides die Interessen ihres Landes vertreten, auch wenn im Bund die große Koalition regiert.

War das ein Aufruf an Frau Merkel, die Ministerpräsidenten der Union zur Räson zu bringen?

Parteivorsitzende haben immer die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Vereinbarungen eingehalten werden. Das gilt in diesem Fall und ganz grundsätzlich.

Herr Beck, verliert die große Koalition ihre Legitimation, wenn sie keine tragfähige Gesundheitsreform zustande bringt?

Keine Frage: Die Gesundheitsreform ist eines der Kernstücke der großen Koalition. Ich sehe aber keinen Grund, darüber zu spekulieren, dass wir das nicht schaffen könnten. Ich weiß, wie weit wir noch auseinander sind, aber ich bin sicher, dass wir das hinbekommen.

Wird die Gesundheitsreform prägend sein für alles Weitere, was die große Koalition anpacken kann?

Ein Kernstück prägt immer die gesamte Zusammenarbeit. Bei einem gemeinsamen Erfolg werden wir auch die Kritik ertragen, die jeder aus seinem Spektrum einstecken muss. Die wird ja nicht ausbleiben. Wir können kein Füllhorn ausschütten. Wir müssen auf Effizienz schauen und die Finanzierung so ordnen, dass sie für lange Zeit Bestand hat. Ich habe nicht die Illusion, dass wir dafür nur Beifall erhalten. Wenn dieses Reformwerk gelingt, gibt es auch neue Kraft für die nächsten Schritte.

Eine Bürgerversicherung, wie die SPD sie wollte, wird diese Reform nicht bringen.

Das ist wahr. Eine Kopfpauschale wird es aber auch nicht. Wir werden ein nach wie vor solidarisches Gesundheitssystem haben, und unter dem Strich muss die paritätische Beteiligung der Arbeitgeber gewährleistet sein. Es sollen künftig alle Menschen versichert sein, und jeder soll an den Fortschritten der Medizin teilhaben.

Hört sich recht vage an.

Alles Weitere würde im Moment nur zu überflüssigen Spekulationen einladen. Jetzt müssen wir in der Koalition die Frage abschließend beantworten, wie das System effizienter wird. Und dann, etwa in einer Woche, fangen wir an, über die Finanzierung zu reden.

Bis zur Sommerpause soll der Bundestag die Föderalismusreform beschließen. Die Ministerpräsidenten haben immer betont, das ganze Paket sei gefährdet, wenn es aufgeschnürt wird; die SPD-Fraktion hat aber diverse Änderungswünsche. Wie viel Bewegung ist dem Ministerpräsidenten Beck möglich?

Ich lote gerade die Spielräume aus. Nach einem Gespräch mit dem Kollegen Peter Müller aus dem Saarland lese ich jetzt, dass er für eine Öffnung bei der Kooperationsklausel ist, die es dem Bund erlauben würde, die Hochschulen mitzufinanzieren. Ich könnte mir vorstellen, dass wir seitens der Länder bei Einspruchsgesetzen auf das Vermittlungsverfahren ganz verzichten. Bisher nehmen wir bei solchen Gesetzen eine lange Beratungszeit in Anspruch, an deren Ende, wenn es denn einen Vorschlag gibt, im Bundestag eine Kanzlermehrheit erforderlich wird. Ich glaube, so müssen wir nicht miteinander umgehen. Diesen Vorschlag möchte ich in die Diskussion einbringen. Vielleicht ist er eine Brücke zwischen Bund und Ländern.

Als SPD-Vorsitzender kommt auf Sie auch die Aufgabe zu, das Verhältnis zu den Gewerkschaften zu befrieden. Macht es Ihnen Sorge, dass Franz Müntefering beim Gewerkschaftstag unfreundlich empfangen wurde und Oskar Lafontaine umjubelt?

Ja, das besorgt mich, aus tiefer Verbundenheit mit den Gewerkschaften. Natürlich müssen Regierungen von den Gewerkschaften Kritik einstecken. Aber es ist eine andere Sache, wenn man sich dort auf Illusionen einlässt und Lafontaines Realitätsverweigerung zujubelt. Gewerkschaften und Betriebsräte müssen nah an der Realität sein. Ich suche den Dialog. Auch beim Gewerkschaftstag habe ich große Schnittmengen gesehen.

Der DGB drängt auf Mindestlöhne in Höhe von 7,50 Euro aufwärts. Wo ist da die Schnittmenge?

Wir brauchen Mindestlöhne, aber wir müssen sie regional und nach Branchen differenzieren. Problematisch wäre beispielsweise, Mindestlöhne einzuführen, die über den Tariflöhnen liegen, die DGB-Gewerkschaften ausgehandelt haben. Wir brauchen Mindestlöhne vor allem dort, wo die Gewerkschaften nicht handlungsfähig sind. Bei den privaten Haushalten zum Beispiel, einem Wachstumssektor der Beschäftigung. Wir brauchen Mindestlöhne auch, um im europäischen Geleitzug zu bleiben. Aber: Mut zur Differenzierung. Darüber müssen wir mit den Gewerkschaften reden.

Jubel für Lafontaine bei den Gewerkschaften, Sympathien bei den Jusos für rot-rot- grüne Bündnisse. Wie lange gilt Ihre Absage an Koalitionen mit der Linkspartei im Bund und im Westen noch?

So lange ich SPD-Vorsitzender bin – und das wissen die Jusos. Willy Brandt hat gesagt, dass es links von der SPD keine politische Kraft geben sollte. Unsere Aufgabe ist es, die Mitte und das linke demokratische Spektrum zu integrieren. In der Außenpolitik könnten wir sehr schnell in der Isolation und in der Innenpolitik in Utopia landen, wenn uns das nicht gelingt.

In Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin wird bei den Wahlen im September die Fortsetzung der rot-roten Koalitionen angestrebt.

Die PDS ist mit der Linkspartei im Westen nicht gleichzusetzen. in den ostdeutschen Ländern gibt es einige konservativ-bewahrende Elemente aus der Vergangenheit. Deshalb müssen Koalitionen dort anders bewertet werden als im Westen oder für die gesamte Republik.

Das Gespräch führten Tissy Bruns und Stephan Haselberger. Foto: Public Address Presseagentur

ZUR PERSON:

SOZIALDEMOKRAT

Kurt Beck, Jahrgang 1949, weiß, woher er kommt. Der Maurersohn wird nach Abschluss

der Volksschule Elektromechaniker und holt die Mittlere Reife auf der Abendschule nach. 1972 tritt er in die SPD ein.

LANDESVATER

Beck ist aufgewachsen, wo er heute wohnt: in Steinfeld, Südpfalz. Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz wird er 1994, seit der Landtagswahl 2006 kann die SPD allein regieren.

VORSITZENDER

Der bodenständige und erfolgreiche Wahlkämpfer wird im Mai 2006 SPD-Chef, da Matthias Platzeck zurücktritt, der erst im letzten November gewählt worden war.

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