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Finanzausgleich: Wie Pfadfinder im dichten Wald

Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern muss neu geregelt werden – doch die Ministerpräsidenten finden den Weg zu Verhandlungen nicht. Dabei drängt die Zeit, und das Vorhaben ist umfangreich.

Berlin - Ein weit verbreiteter Irrtum sei das, sagt Winfried Kretschmann, sein Baden-Württemberg sei gar nicht so reich, wie viele meinen. Der Stuttgarter Ministerpräsident hat sein Land am Donnerstagabend auf der großen Sommerfete der Landesvertretung natürlich mit Bedacht kleingeredet. Denn im Schatten der großen europäischen Finanzkrise schickt sich die Politik in Deutschland gerade an, die eigene Finanzverfassung in die Generalüberholung zu geben. Es geht um den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, um die Zahlungen der stärkeren Länder an die schwächeren, um das Verteilen der Steuern und Schulden, um Sozial- und Pensionslasten. „Bis zur Sommerpause müssen wir einen Verhandlungspfad finden“, hat Kretschmann unlängst gesagt. Aber die Pfadfinder finden den Einstieg nicht. Am Freitag gab es eine informelle Runde der Ministerpräsidenten parallel zur Bundesratssitzung. Das offizielle Ergebnis: keine Bewegung.

Dabei drängt die Zeit. 2019 läuft das Finanzausgleichssystem zusammen mit dem Solidarpakt aus. In der alten Form wird es nicht weitergehen können. Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) sagt: „Das jetzige System ist an seine Grenzen geraten, wegen der immer größeren Unterschiede zwischen den Ländern.“ Im Grunde muss die gesamte Finanzverfassung auf den Prüfstand, denn das System ist durch allerlei kleine Umbauarbeiten über die Jahre völlig intransparent geworden. Um 2019 eine vernünftig konstruierte Neuversion zu haben, bedarf es einiger Jahre Verhandlungszeit. Schließlich brauchen die Haushälter in Bund und Ländern für ihre Planungen ein bisschen Vorlauf. Doch bislang ist nur klar, dass bis zum kommenden März eine große Bestandsaufnahme der föderalen Finanzbeziehungen erstellt werden soll – alle Finanzströme zwischen Bund, Ländern und Kommunen, europäische Ebene inklusive. Alle Bäume sozusagen, damit man endlich weiß, wie groß der Wald eigentlich ist. Diese Datensammlung wollten einige Regierungschefs freilich schon zur Ministerpräsidentenkonferenz im Juni vorliegen haben. 2016, spätestens 2017 könnte dann die Lösung stehen. Das aber heißt: Beginnen die echten Gespräche nicht spätestens nach der Bundestagswahl 2013, wird es eng.

Das freilich scheint bei einigen Länderregenten zur Strategie zu gehören. Je später man anfängt, lautet die Devise, umso eher kommt ein Ergebnis nahe am Status quo heraus, weil man in kurzer Zeit keine größeren Änderungen erreicht. Das aktuelle Finanzausgleichsystem aber nützt den Schwächeren. Mit der nordrhein- westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), hört man in Länderkreisen, hat dieses Lager nun eine potente Anführerin bekommen. Unter ihren Vorgängern, voran Wolfgang Clement, hatte sich NRW in die Riege der Starken gestellt.

In deren Lager wächst die Nervosität und der Unmut. Hessen hat sich nun entschlossen, die seit Jahren angedrohte Klage gegen den Finanzausgleich in Karlsruhe am Jahresende einzureichen. Bayern ist dabei, Kretschmann will auch mitmachen, ist aber ein bisschen ins Straucheln geraten, weil die grüne Generallinie eben nicht in Stuttgart formuliert wird. Man hat es in der Partei traditionell lieber mit den Schwachen. Bayern und Hessen dringen darauf, sogar den laufenden Finanzausgleich zu ändern – mittels einer Deckelung ihrer Zahlungen. Aber die Phalanx der Nehmerländer sagt „nö“. Im Zweifel hat man schließlich den Bund. Seit der begonnen hat, immer mehr Soziallasten zu übernehmen (etwa die Grundsicherung), bekommen die Länder wieder mehr Luft. Und Zeit zum Abwarten.

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