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Finanzkrise: Das Kreuz der Griechen

Athen droht der Staatsbankrott – das Finanzdesaster wurzelt im politischen System.

Der Euro unter Druck, griechische Staatsanleihen im freien Fall, Kurssturz an den Börsen – Krisenstimmung an der Akropolis? Nicht bei Antonis Papazoglou. „Ich erwarte ein gutes Geschäftsjahr“, freut sich der 48-Jährige. In der Nähe des Athener Omonia-Platzes liegt sein kleiner Laden. Papazoglou verkauft Registrierkassen. Ein Artikel, der jetzt sehr gefragt ist. Denn Griechenlands Finanzminister Giorgos Papakonstantinou hat den Steuersündern den Krieg erklärt. Und eine wichtige Waffe in dieser Schlacht ist die Registrierkasse. Überall soll sie künftig klingeln: in Tante-Emma-Läden und an Tankstellen, in Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien, auf den Marktständen und sogar in den Periptera, den bunten Kiosken, wo die Griechen Zeitungen und Zigaretten kaufen. Viele Händler verschleiern nicht nur ihre Einkommen, sie hinterziehen auch die Mehrwertsteuer. Geschätzter Verlust für den Fiskus: sieben Milliarden Euro pro Jahr. Das will Ministerpräsident Giorgos Papandreou nicht länger dulden: „Jetzt müssen jene bezahlen, die bisher nicht bezahlt haben“, kündigt er an. Unterdessen spornt Finanzminister Papakonstantinou die Griechen zu einem neuen Volkssport an: Sie sollen Quittungen sammeln. Der Beleg aus der Bäckerei oder der Kassenzettel aus dem Supermarkt, früher meist achtlos weggeworfen, ist plötzlich wertvoll: Nur wer Quittungen sammelt, wird künftig den bisher automatisch gewährten Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer wahrnehmen können. So will Kassenwart Papakonstantinou die Griechen bewegen, nach dem Abendessen in der Taverne ebenso einen Beleg zu verlangen wie beim Arztbesuch.

Nachtklubbesitzer, die seit Jahren angeblich nur Verluste erwirtschaften, Staranwälte, die gerade mal 800 Euro im Monat verdienen, Handwerker, die einen Mercedes fahren, aber laut Steuererklärung an der Armutsgrenze vegetieren: Fachleute schätzen, dass in Griechenland vergangenes Jahr rund 30 Milliarden Euro Steuern hinterzogen wurden. Das entspricht ziemlich genau dem Haushaltsdefizit. Bei der Bewältigung der Krise spielt deshalb der Kampf gegen die Steuerhinterziehung eine Schlüsselrolle.

Aber nicht nur Ärzte und Anwälte, Händler und Handwerker bestehlen den Fiskus. Auch die politische Kaste Griechenlands beteiligt sich seit Jahrzehnten an der Plünderung des Staates. Die Malaise beginnt mit einem Kreuz – jenem Kreuz, das die Wähler alle paar Jahre auf dem Stimmzettel machen. An der Urne entscheidet der Grieche nicht nur über die Partei seiner Wahl. Mit dem sogenannten Vorzugskreuz bestimmt er, welcher Abgeordnete auf einem der 300 Sessel im Athener Parlament Platz nehmen darf. Die Kreuze gibt es allerdings nicht zum Nulltarif. Die Griechen erwarten Gegenleistungen: gehe es um eine Baugenehmigung, um Schutz vor einer drohenden Steuerprüfung oder auch nur um die Annullierung eines Strafzettels. Wer als Abgeordneter einem Schulabgänger einen krisenfesten Job in der öffentlichen Verwaltung zuschanzt, kann mit den Vorzugskreuzen der ganzen Großfamilie rechnen.

So legte sich im Laufe der Zeit ein immer dichter geknüpftes Netz aus gegenseitigen Abhängigkeiten über das Land. Diese Klientelwirtschaft lähmt den Staat, fördert die Korruption – und kostet den Steuerzahler Milliarden. Lokführer, die doppelt so viel verdienen wie der Ministerpräsident, Bahnbedienstete, die sogar im Urlaub Überstunden abrechnen – jeden Tag fährt etwa allein das staatliche Bahnunternehmen OSE 2,2 Millionen Euro Verlust ein. Ähnliche Zustände herrschen in der öffentlichen Verwaltung. Unter dem Strich beschäftigt der griechische Staat mehr als eine Million Menschen – fast jeden vierten Berufstätigen. Zum Vergleich: In Deutschland wird jeder siebte vom Steuerzahler entlohnt.

Premier Papandreou verspricht deshalb einen „Umbau des Staates“. Beim Kampf gegen Filz und Vetternwirtschaft setzt er auf eine Wahlrechtsänderung nach deutschem Vorbild: Das Vorzugskreuz soll abgeschafft, die Parteienfinanzierung transparent gemacht werden. Doch bis diese Reform greift, muss die Regierung zunächst sparen – und Steuern eintreiben. Dabei sollen Registrierkassen helfen, wie sie Antonis Papazoglou verkauft. Dutzende Modelle hat er in seinem Laden, auch ein kleines, batteriegetriebenes Gerät, das Quittungen auf Thermopapier ausdruckt. „Das kann der Arzt doch beim Hausbesuch gleich mitbringen“, schlägt Papazoglou vor. Die Idee dürfte Vizepremier Theodoros Pangalos gefallen. Er droht bereits den Steuersündern mit dem Jüngsten Gericht: „Sie werden ein Armageddon erleben!“

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