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Politik: Flucht durch die Nacht

Der blinde chinesische Bürgerrechtsanwalt Chen soll sich in der Pekinger US-Botschaft aufhalten.

Von außen scheint alles wie immer: In der Dongfang-Oststraße an der Westseite der US-Botschaft in Peking steht die übliche Zahl an Wachposten, lediglich parallel zum Südeingang in der Nähe der indischen Botschaft parken ein oder zwei Polizeiwagen mehr als sonst. Daraus zu schließen, dass die Flucht des blinden Menschenrechtlers Chen Guangcheng aus seinem 18 Monate währenden Hausarrest in die US-Botschaft die chinesischen Sicherheitsbehörden unbeeindruckt lässt, wäre allerdings falsch. Das spüren gerade seine Freunde und Helfer.

Seit Freitag fehlt jede Spur von der Aktivistin He Peirong, die nach Informationen der „New York Times“ Chen Guangcheng nach seiner Flucht rund 30 Stunden lang von der Provinz Shandong nach Peking gefahren hatte. Zuletzt hatte sie einem Freund telefonisch mitgeteilt, dass Beamte der Staatssicherheit bei ihr erschienen seien. Ebenso verschwunden ist der Menschenrechtsaktivist Guo Yushan, der Chen ebenfalls geholfen haben soll. Der Dissident Hu Jia, der Chen Guangcheng in Peking an einem unbekannten Ort traf, wurde nach Aussge seiner Frau Zeng Jinyan am Wochenende stundenlang verhört. “

Für den Bürgerrechtler Hu Jia, der im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 festgenommen worden und erst im Sommer 2011 freigelassen worden war, könnte es noch weitere Folgen geben. Nicolas Bequelin, Asienbeauftragter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, schreibt auf Twitter: „Hu Jia ist immer noch von einem einjährigen Entzug der politischen Rechte betroffen, die Polizei sagt, dass es ihm deshalb verboten ist, Interviews zu geben.“ Hu Jia hatte in den letzten Tagen die Medien unter anderem darüber informiert, dass sich Chen Guangcheng in der US-Botschaft aufhält. Chen, einer der autodidaktisch ausgebildeten „Barfuß-Anwälte“ Chinas, hatte sich seit Ende der 90er Jahre mit seinem Einsatz für Opfer von Machtwillkür einen Namen gemacht. Er stellte sich gegen die offizielle Ein-Kind-Politik und half Opfern von Zwangsabtreibungen in der Stadt Linyi.

Seine Flucht belastet die politischen Beziehungen Chinas und der USA schwer. Sie haben sich bisher offiziell nicht dazu geäußert, am Donnerstag starten die jährlichen bilateralen Wirtschafts- und Sicherheitsgespräche mit Außenministerin Hillary Clinton. Die USA benötigen für Themen woe Syrien, Irak und Nordkorea Chinas Unterstützung. Denkbar scheint Experten zurzeit, dass die USA Chen Guangcheng unter Sicherheitsgarantien für ihn, seine Familie und womöglich auch seine Helfer aus der Botschaft entlassen könnten. In die USA ins Exil zu gehen, hatte er immer ausgeschlossen. Seine mehrfachen, anscheinend planlosen Ortswechsel in Peking deuten auf nicht ganz klare Ziele der Flucht – außer dem, dem Hausarrest zu entkommen.

Nach Informationen der „New York Times“ hatte Chen Guangcheng die Flucht selbst seit mehreren Monaten geplant. Er habe wochenlang immer länger im Bett gelegen, um seine Wachen glauben zu machen, er sei zu schwach dafür. Tatsächlich wurde seine Flucht offenbar erst nach vier Tagen entdeckt. Er war am vorvergangenen Sonntag über eine Mauer geklettert und stundenlang durch die Nacht gelaufen. Dabei soll er rund 200 Mal gestürzt sein, fand aber trotzdem fast 24 Stunden später zu einem zuvor telefonisch vereinbarten Treffpunkt.

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