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Politik: Flucht vor dem Klassenzimmer

Eine Bremer Familie hat Deutschland verlassen, weil die Eltern ihre Kinder nicht selbst unterrichten dürfen

Lieber auswandern als in die Schule gehen: Ein Bremer Vater und seine beiden Söhne sind am Montag aus Deutschland geflohen, weil die beiden Kinder zu Hause statt in der Schule unterrichtet werden sollen, die Familie für dieses „Homeschooling“ jedoch keine amtliche Erlaubnis bekommt. Auch die Mutter reiste zunächst mit, will aber demnächst wiederkehren, um hier weiter für eine Genehmigung zu kämpfen. Familie Neubronner, die durch Fernsehauftritte und überregionale Presseberichte bekannt geworden ist, verweigert die Schulpflicht angeblich nicht aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen – auch wenn Mutter Dagmar Neubronner (48) einen Verlag leitet, der esoterisch anmutende Bücher verlegt und als Heilpraktikerin eine „Praxis für Selbstheilung“ namens „Die Segensspirale“ führt.

Sie und ihr Mann Tilman Neubronner (53), der ebenfalls für den zu Hause betriebenen Verlag arbeitet, wollen nach eigenen Angaben lediglich vermeiden, ihre beiden Söhne Thomas (8) und Moritz (10) gegen deren Willen zum Schulunterricht zwingen zu müssen. Die Kinder hatten zwar zunächst Grundschulen besucht, klagten nach Aussage der Eltern aber über Langeweile und Lärm und litten schließlich unter Albträumen, Bauch- und Kopfschmerzen. Im Herbst 2005 begann das Paar damit, die Söhne selbst zu unterrichten – was in anderen Staaten durchaus erlaubt ist. Zeitweilig kooperierte die Familie dabei mit der örtlichen Grundschule, die regelmäßig die Lernfortschritte überprüfte und nach Angaben der Eltern gute Leistungen bescheinigte.

Die SPD-geführte Bremer Bildungsbehörde lehnte jedoch die nur in Ausnahmefällen mögliche Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht ab. Auch beim Verwaltungsgericht scheiterte die Familie in erster Instanz, unter anderem mit der Begründung, die Schulpflicht solle auch die Abschottung einzelner Bevölkerungsgruppen verhindern. Während die Neubronners umgehend Berufung einlegten, versuchte die Bildungsbehörde nach dem erstinstanzlichen Urteil, die Familie mit Zwangsgeldern zum Einlenken zu bringen. Als das Paar die geforderten 4500 Euro nicht zahlte, setzte das Amt einen Gerichtsvollzieher in Gang, der aber nichts Pfändbares fand, und ließ vorübergehend sogar die Konten pfänden. Den letzten Anstoß zum Auswandern gab dann ein Urteil des Bundesgerichtshofs, wonach baptistischen Spätaussiedlern das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen werden durfte, weil sie beharrlich gegen die Schulpflicht verstoßen hatten.

Aus Angst vor ähnlichen Konsequenzen flohen die Neubronners am Montag ins Ausland – zunächst in die Ferienwohnung von Freunden auf den Kanarischen Inseln. Von dort aus wollen sie versuchen, eine dauerhafte Bleibe in England oder Irland zu finden, wie ihr Anwalt Matthias Westerholt dem Tagesspiegel sagte. Die Mutter will allerdings zunächst in die Hansestadt zurückkehren, um ihren Verlag zu betreuen und den Rechtsstreit weiter zu verfolgen – notfalls bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Den Anwalt der Familie finanziert die angeblich größte Homeschooling-Organisation der Welt, die US-amerikanische HSLDA. Die Neubronners sind nicht die Einzigen, die lieber die Heimat aufgeben, als ihre Kinder in die Schule zu schicken. Nach Informationen von Westerholt verlassen derzeit „zahlreiche weitere Familien mit frei lernenden Kindern das Land, die meisten in aller Stille“. Ihnen stünden sämtliche EU-Länder offen, denn „nirgendwo wird Homeschooling kriminalisiert und verfolgt wie in Deutschland“.

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