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Flüchtlinge: "In Deutschland geht der Strom niemals aus"

Irakische Flüchtlinge warten in Friedland auf Weiterreise an künftige Wohnorte. Familiäre Bindungen nicht immer berücksichtigt.

Die Frage nach den Unterschieden zwischen dem Alltag im Irak und in Deutschland beantwortet Mazin F. ohne Zögern. Er müsse nun nicht mehr um sein Leben und das seiner Familie bangen, sagt der 39-Jährige. Außerdem „geht hier der Strom niemals aus, und Wasser gibt es auch immer“.

Mazin F. und seine Familie gehören zu den etwa 120 irakischen Flüchtlingen, die vor gut zwei Wochen nach Deutschland kamen und die ersten Tage ihres Aufenthaltes im Grenzdurchgangslager Friedland verbringen. In den kommenden Monaten wird das Dorf bei Göttingen zur Durchgangsstation für insgesamt etwa 2500 Iraker, deren Aufnahme Deutschland zugesagt hatte. Die meisten von ihnen sind Christen oder gehören anderen im Irak verfolgten Religionsgemeinschaften an. Auch einige Yesiden, eine religiöse Minderheit unter den Kurden, sind unter den Flüchtlingen.

Im Juli 2006 seien sie aus Bagdad geflüchtet, erzählt Mazin F. Dort war er Besitzer einer kleinen Kunststofffabrik. „Wir haben schreckliche Dinge erlebt.“ Die Anschläge auf Christen hätten sich damals so sehr gehäuft, „dass wir unsere Kinder nicht mehr in die Schule schicken konnten“. Auch Entführungen und andere Schikanen hätten zugenommen, an einem einzigen Tag wurden vier Kirchen in die Luft gesprengt. „Die größte Christenverfolgung der Gegenwart“, so nennt die Gesellschaft für bedrohte Völker die Pogrome gegen irakische Christen. Allerdings leiden Schiiten und Sunniten in Irak ebenso unter Angriffen, Vertreibung aus Stadtvierteln und Entführungen.

Im Lager Friedland bewohnen die Flüchtlinge spartanisch möblierte Zimmer. Den vierjährigen Sohn Marius auf dem Schoß, sitzt Mazin F. auf einem der Stühle. An der Wand stehen Doppelstockbetten, es gibt noch einen Tisch und einen Schrank. Ein Schild an der Wand warnt: „Stop dem Diebstahl“. Der Raum ist überheizt. „Wir haben geputzt“, sagt Großmutter Salima F. „Wenn es warm ist, wird der Boden schneller trocken."

Etwa 50 Iraker sind bereits aus Friedland in ihre künftigen Wohnorte abgereist. Seitdem die Aufnahmeformalitäten erledigt sind und bevor in Friedland die Integrationskurse für die Niedersachsen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern zugewiesenen Flüchtlinge anlaufen, gibt es im Lager nicht viel zu tun. Bei schönem Wetter treffen sich die Männer draußen zum Plausch, die Frauen schauen in den Kleiderkammern der Hilfswerke vorbei, die wenigen Kinder klettern und schaukeln auf dem Spielplatz. „Die wichtigen Termine hier sind die Mahlzeiten“, sagt Mazin F.

Die Verwaltung hat sich auf die Bedürfnisse der Iraker eingestellt. Mehrere neue Dolmetscher für Arabisch wurden verpflichtet, die Lagerköche informierten sich über die Bedürfnisse der Iraker. „Wir wollen diesen Menschen das Gefühl geben, dass sie hier willkommen und in Sicherheit sind“, sagt Lagerleiter Heinrich Hörnschemeyer. In der katholischen Lagerkirche und der evangelischen Kapelle werden alle paar Tage Gottesdienste angeboten.

Auch Familie F. wird nur noch wenige Tage in Friedland verbringen. Deutsch lernen und Arbeit suchen – das steht für Mazin F. nach dem Umzug als Erstes an. Enttäuscht ist er darüber, dass die Behörden seinem schon bei der Befragung in Syrien geäußerten Wunsch nach einer Zuweisung nach Baden-Württemberg nicht entsprochen haben. „In Stuttgart haben wir Verwandte, es gibt da auch schon ein Jobangebot für mich“, erzählt er. „Stattdessen sollen wir nach Essen, da kennen wir doch keinen.“ Natürlich habe er manchmal Sehnsucht nach Bagdad, erzählt Mazin F. „Nach dem Bagdad, so wie es früher war.“ Eine Rückkehr in die alte Heimat hält er auf absehbare Zeit aber für ausgeschlossen. Für immer? „Man soll nie etwas ausschließen“, sagt er schließlich.

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