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Migranten aus Afghanistan and Pakistan auf der griechischen Insel Lesbos. Sie müssen mit Rückführung in die Türkei rechnen.

© Orestis Panagiotou / dpa

Flüchtlinge in Europa: Die Massenmigration ist nicht unter Kontrolle

Die Flüchtlingszahlen sinken, die Abschiebung hat begonnen. Das ist aber keine Dauerlösung. Europa muss sich um die Nordafrika-Route kümmern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die Rückführungen in die Türkei haben begonnen. Zuvor war die Zahl der in Deutschland eintreffenden Flüchtlinge stark gesunken, von 64.700 im Januar auf unter 5000 im März. Schon atmen die einen auf: Problem gelöst! Andere tun so, als breche nun die Rechtsordnung zusammen. Beides ist voreilig.

Bald kommen die Menschen wieder über das Mittelmeer

Das Abkommen mit der Türkei und die Schließung der Balkanroute sind nur eine Atempause. Migranten werden die Route über das westliche Mittelmeer neu entdecken, sobald das Wetter ein Übersetzen von Nordafrika wieder erlaubt. Die Bedingungen an der Gegenküste dort sind andere. In der Ägäis hat Europa einen Partner, mit dem es die Rückführung vereinbaren kann. In Nordafrika mag dies mit Tunesien gehen, bei Algerien und Ägypten ist das fraglich. Libyen kann im heutigen Zustand kein Vertragspartner sein.

Es ist auch zu früh, um zu behaupten, dass nun massenhaft Menschen in die Türkei zurückmüssen, die dort ihres Lebens nicht sicher seien. Die große Zahl an Flüchtlingen, die in der Türkei leben, ohne sofort weiterzuziehen, spricht gegen diese Annahme.

Europa und Deutschland sind am Anfang eines mehrjährigen Lernprozesses im „Trial and Error“-Verfahren. Der alte Kontinent ist keine klassische Einwanderungsregion. Deshalb fehlt ihm die Erfahrung. Er hat über Jahrhunderte Auswanderer produziert. Die Tugenden, die jetzt helfen, sind: Neugier, die Bereitschaft, Unkonventionelles auszuprobieren und die Lehren daraus ohne ideologische Scheuklappen anzunehmen.

"Zäune helfen nicht"? Deutschland lernt das Gegenteil

Als ein solches Vorwärtstasten sollte Europa die Erfahrungen der vergangenen neun Monate begreifen. Manches war in Deutschland behauptet worden, das sich als Irrtum erwiesen hat: Gegen Migration kann man nichts machen, Zäune helfen nicht weiter – bis hin zum Vorwurf: Wollt ihr auf Flüchtlinge schießen? Dann beschlossen Staaten auf der Balkanroute zu handeln. Mit Erfolg und unblutig.

Das Abkommen mit der Türkei ist eine Folge davon. Es ist nicht unabänderlich. Man kann es im Licht der Erfahrung verbessern. Es ist aber bestenfalls eine Komponente von mehreren, die Europa benötigen wird, wenn der Zustrom auf anderen Wegen nicht abermals zu einer Überforderung führen soll.

Europa hat die Wahl, welche Mittel verantwortbar sind

Welche Mittel sind verantwortbar und welche nicht? Diese Entscheidung kann man nur treffen, wenn man weiß, welche Mittel zur Wahl stehen. Unvoreingenommen. Deutschland führt jedoch die nächste „Geht nicht“-Debatte: Was tun mit Migranten, die sich nicht integrieren oder gar Straftaten begehen? Klassische Einwandererländer haben da Erfahrung. Wen die USA aufnehmen, der weiß, dass er nicht bleiben kann, wenn er das Recht bricht – und bemüht sich in der Regel um die Einhaltung. Das wirkt präventiv. Die USA weisen straffällige Migranten in das Land aus, dessen Bürger sie sind, oder in das Land, aus dem sie eingereist sind. Warum soll Deutschland das nicht tun? Im Fall des minderjährigen Serientäters „Mehmet“ war es möglich, obwohl er in München geboren ist. Nur die Ausweisung eigener Staatsbürger ist verboten.

Dringender ist diese Frage: Was soll Europa tun, wenn die Zahl der Flüchtlinge über das westliche Mittelmeer im Sommer stark steigt?

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